Nachdem Novecento einen Tag auf dem Dach des VW-Bus gelegen hat, raffe ich mich am 11.7.2019 endlich auf und fahre noch ohne konkrete Streckenplanung in Richtung Schlei. Der Plan ist, von Lindaunis aus sowohl in Richtung Schleswig wie auch in Richtung Schleimünde/Ostsee zu rudern. Als ich vor der Brücke Lindaunis im Stau stehe ändere ich den Plan und fahre über Kappeln zur Marina Arnis als Ausgangspunkt meiner Tour.
Für den kommenden Tag ist ruhiges Wetter angekündigt. Ich belade das Boot mit grossem Gepäck (Zelt, Kochutensilien). In Schleimünde will ich abhängig von Wind und Wellen über die weitere Strecke entscheiden. Auf der Schlei komme ich zügig voran, hinter Kappeln überhole ich sogar ein kleines Segelboot unter Motor und bin überrascht, daß in der schmalen Fahrrinne zwischen Kappeln und Maasholm auch die grossen Segelyachten unter Motor kaum schneller sind. Auf der Ostsee bei Schleimünde gibt es nur schwache Dünung und ich entscheide mich für die Fahrt in Richtung Eckernförder Bucht. Am Nachmittag nehmen Wind und Wellen zu, das Rudern wird anstrengender und ich übernachte in Karlsminde, einige Kilometer vor Eckernförde.
Nach ausgiebigem Frühstück mit frischen Brötchen ist das Zelt schnell abgebaut und das Boot beladen. Direkt vor Karlsminde quere ich die Eckernförder Bucht. Weil Wochende ist und ich keine Warnzeichen an den in der Karte angegebenen Stellen entdecken kann, hoffe ich, daß das Warngebiet “Eckernförde Süd” nicht aktiv ist und ich nicht versehentlich Ziel eines Torpedos werde. Verlässlichere Informationen wären mir lieber.
Vor Einfahrt in die Kieler Förde werden die Wellen unangenehm. Gelegentlich läuft eine sich brechende Welle von der Seeseite auf das Boot zu und verpasst mir eine Dusche. Wind und Wellen schieben mich in die Förde hinein und ich probiere verschiedene Methoden um das Boot auf den Wellen ein kurzes Stück surfen zu lassen. Bei Laboe quere ich die Förde und sehe mir das U-Boot Mahnmal an, bevor ich die Förde wieder verlasse und zum nächsten Campingplatz rudere.
Am Morgen tun mir noch immer Füsse, Hände und Rücken weh. Der Himmel ist bedeckt. Das Wetter und die Dünung wären günstig zum Rudern. Trotzdem beschliesse ich, mich einen Tag zu erholen. Offenbar strengt mich das Rudern an der Küste mehr an als auf Kanälen oder Flüssen.
An den zwei folgenden Tagen weht der Wind mit 15kt und die Wellen zeigen gelegentlich kleine Schaumkronen. Ich bleibe auf dem Zeltplatz und nutze die Zeit um das Auto aus Arnis nachzuholen.
Nach den Ruhetagen rudere ich weiter entlang der Küste in Richtung Weißenhaus. An der Einfahrt in das Warngebiet Todendorf halte ich Ausschau nach Hinweisen auf Aktivierung des Gebietes für militärische Übungen. In der Ferne (Neuland) sehe ich wechselnd rot-gelbe Lichtzeichen. Das Leuchtfeuer bei Todendorf ist dagegen nicht aktiviert und ich folgere daraus (wie in der Eckernförder Bucht), dass das Warngebiet nicht aktiv sei. Ich habe mich offenbar geirrt: nach etwa zwei Kilometern werde ich per Lautsprecher aufgefordert das Warngebiet zu verlassen. Ich drehe um und harre notgedrungen vor dem Warngebiet aus bevor ich am späten Nachmittag endlich weiterfahren kann. Erst spät erreiche ich den Strand vor Weißenhaus, mache einen kurzen Spaziergang zu der Ferienanlage “Weißenhäuser Strand” und übernachte im VW-Bus.
Ich bekomme Besuch von Siegrid. Weil ich erst ab 17Uhr in das Warngebiet Putlos einfahren kann, verbringen wir den Tag in Heiligenhafen und ich erkunde eine geeignete Anlege- und Aufladestelle für das Boot. Am Abend beschliesse ich meine Tour mit der Fahrt von Weißenhaus bis Heiligenhafen gegen stärker werdenden Wind aus Ost.
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Die Radtour begann am 25. April 2019 (zum Anfang des Berichts) und endete am 5. Juni 2019. Insgesamt war ich 6 Wochen (42 Tage) unterwegs, bin an 36 Tagen 3975km und 28.900 Höhenmeter mit dem Rad gefahren. Ich habe einmal in einem kleinen Schloß, dreimal im Zelt, bei Familie und in günstigen Hotels oder B&B übernachtet. Kurze Regenperioden hatte ich in Galizien, an der französischen Atlantikküste und in den Ardennen. An dem Rad hatte ich Probleme mit dem Hinterrad (Speichen), mit der Vorderbremse und schließlich mit der Lichtanlage und der Stromversorgung für das Navi. Neben diversen kleineren Schäden musste ich den Totalschaden meiner Outdoor-Hose feststellen. Die Ausrüstung scheint langsam an die Grenze der Haltbarkeit zu gelangen.
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Die noch verbleibende Strecke von Augustdorf (Bielefeld) bis Gifhorn ist wenig aufregend. Das Wetter ist deutlich besser als zu der Zeit, zu der ich im vergangenen Jahr die Strecke gefahren bin. Das Weserbergland ist noch immer eine schöne Landschaft und über die Umgebung von Hannover (Pattensen, Sehnde, Edemissen) habe ich im letzten Jahr alles Wesentliche geschrieben.
Mit dem letzten Zwischenstop in Springe beende ich gedanklich die Tour, die heutigen 90km betrachte ich noch als Tagesausflug. Das Rad hat entgegen den Befürchtungen die ganze Strecke überstanden und ich mache mir Gedanken über Reparatur und/oder Neukauf.
In Gifhorn freue ich mich über unsere prächtigen Blumenbeeten, die wir vor meiner Abfahrt neu angelegt hatten und die sich in der Zwischenzeit gut entwickelt haben.
Beim Zusammenrechnen der Kilometer seit Sevilla stelle ich fest, daß ich die 4000km Marke um 25km verfehlt habe. Früher hätte ich mich nochmal aufs Rad gesetzt und wäre die fehlenden Kilometer noch schnell gefahren, heute ist es mir egal.
Diese Reise war ganz anders als die Radreisen zum Nordkapp und nach Schottland und es fällt mir schwer den Unterschied – ohne daß es trivial wäre – zu beschreiben. Es muß irgendwie mit Temperaturen, Sprachen, Landschaften und meinen Einstellungen zusammenhängen.
Den gestrigen Zwangs-Ruhetag verbringe ich für einige Stunden im Flugplatz-Cafe Borkenberge. Es sitzen dort hauptsächlich Männer in meinem Alter und üben sich in technischer Selbstvergewisserung mit Vokabeln wie “Kontrollzone, VOR, Glascockpit” (Piloten), “Landstraße, 130km/h, Autobahn” (Harley-Fahrer) oder “50km Reichweite, erste Fahrstufe” (Pedelec-Fahrer).
Heute früh bringe ich das Rad zu einem Radladen in Dülmen. Der Monteur, der mir den Reifen wechselt, bestätigt alle meine Vorbehalte gegen Fahrradmechaniker. Ob Kettenspannung, Montage des Chainglider oder Luftdruck: der gute Mann hat offensichtlich keine Ahnung von dem was er tut. Auf entsprechende Nachfrage zeigt aber auch er (wie gestern die Piloten und die Harley- und Pedelec-Fahrer) ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Darstellung technischer Kompetenz.
Ich kenne diesen Hang zum Reden über Technik und frage mich während des Fahrens, welchen evolutionären Vorteil dieses Verhalten haben mag. In der Sache kann dieser Vorteil nicht liegen, sonst gäbe es kein inkompetentes Reden über Technik. Einen Fortpflanzungsvorteil gibt es nicht, weil Frauen sich für dieses Reden nicht interessieren. Aber was ist es dann?
Das Rad hat jetzt hinten den viel verkauften Schwalbe-Marathon-Mondial Reifen (s.a. Holländer in Huelva). Der Reifen fühlt sich wie ein Treckerreifen an. Möglicherweise ist er etwas robuster als meine bisherigen Continental-Reifen (12.000km statt 10.000km), aber so macht das Fahren wenig Freude. Bis Gifhorn werde ich es irgendwie aushalten. Kein Mensch braucht auf europäischen Strassen solche Reifen. Wenn ich mir vorstelle, daß in Fahrradgeschäften regelmäßig teure Räder mit diesen Reifen (und zu geringem Luftdruck) vorgeführt werden, dann kann ich das steigende Bedürfnis nach elektrischer Unterstützung gut nachvollziehen. Ein gutes, gepflegtes und passendes Rad läuft sicher so leicht wie ein Pedelec in der ersten Fahrstufe mit diesen Reifen, schlechter Sitzposition und schlecht gewartetem Antrieb. Hinter Münster komme ich wieder auf die Strecke, die ich im letzten Jahr in Richtung Westen gefahren bin. Die Reisestimmung ist vorbei. Jetzt werden nur noch die fehlenden Kilometer bis Gifhorn runtergefahren. Ich rufe mir einzelne Strecken der letzten Wochen in Erinnerung. Wie fühlte sich die Fahrt am ersten Tag nach Matalascanas an, wie die Regenfahrt durch Biarritz und wie die lange Etappe in der Champagne?