Rudern durch die Norddeutsche Tiefebene

Die Strecke von Gifhorn nach Ostfriesland einmal durchgängig zu rudern war überfällig, die Tour in diesem Jahr 2021 anzugehen war naheliegend. Bis auf die Unteraller zwischen Celle und Weser hatte ich die zu rudernden Gewässer irgendwann vorher schon befahren.

1. Tag: Müden bis Celle (28km)

Die Tour beginnt in Müden mit einem kurzen Abstecher stromauf in die Oker bis zum letzten Okerwehr. Ich freue mich nach einem Jahr wieder in Novecento zu rudern. Es fühlt sich alles richtig und vertraut an.

Die vielen Wasserpflanzen, die hier im Sommer das Rudern fast unmöglich machen, sind weitgehend verrottet. In Langlingen muß ich zum ersten Mal umtragen, kann aber dafür beim nächsten Wehr in Flotwedel das Boot durch die Bootsgasse treideln.
Zunächst wenig erfreut bin ich über eine mir unklare Veränderung am Wehr in Osterloh, die mich zum Umtragen (statt komfortablem Treideln) zwingt und die keine offensichtliche für Ruderboote geeignete Stelle zum Herausheben und Einsetzen bietet. Während des Herumlaufens und Suchens nach einer geeigneten Einsatzstelle wird mir klar was passiert ist: das Wehr wurde stillgelegt und durch eine große Fischtreppe hinüber zu einem vor ca. 50 Jahren stillgelegten Allerarm (Theewinkel) ersetzt. Unterhalb der Fischtreppe in dem engen, kurvenreichen und jetzt reaktivierten Altarm herrscht kräftige Strömung und das Rudern macht Spaß. Die Veränderung ist ein Gewinn, über das Problem mit dem Umtragen sollte aber nochmal gesprochen werden, insbesondere weil weitere Wehre entsprechend umgestaltet werden sollen. Das sehen am Abend die Ruderkollegen vom Celler Ruderverein ähnlich.

2. Tag: Celle bis Schwarmstedt (40km)
Ein sehr schöner warmer Spätsommertag. Das Umtragen in Celle ist lästig. Dann kommen weitere schwierige Umtragestellen in kurzer Abfolge, das Boot leidet. Der obere Teil der Unteraller ist wegen der vielen Staustufen beschaulich aber nicht besonders attraktiv. Die Schleuse Bannetze kann gemäß Jübermann Atlas in Eigenregie bedient werden. Die Gelegenheit lass ich mir nicht entgehen und öffne die Schütze zum Füllen der riesigen Schleusenkammer. Die Schleusung wird eine langwierige und langweilige Angelegenheit. Ich lerne, daß die Schleuse einst für Öltransporte aus dem Ölfeld Wietze ausgelegt worden war. Bereits einige Kilometer vor Erreichen des Campingplatz Schwarmstedt ist der Lärm der A7 zu hören. Die Niederländischen Betreiber dieses Autobahn Campingplatzes bieten Fleischkroketten, Bitterballen und andere Niederländische Snacks an!

3. Tag: Schwarmstedt bis Hülsen (52km)
Ein richtiger Herbsttag mit grauem Himmel und kräftigem Wind aus West. Daher endet der Lärm der A7 auch unmittelbar nach Durchfahren der Autobahnbrücke. Zwei Paddler aus Gifhorn sind mit mir gemeinsam beim Campingplatz Schwarmstedt gestartet. Nach 10km kommt die Schleuse Hademsdorf. Das Umtragen gelingt mir nur mit Hilfe der beiden Paddler. Danach endlich richtige Strömung und erstmal keine weiteren Staustufen. Der Charakter der Aller ändert sich. Jetzt ist sie ein richtiger Fluss. Die Pensionswirtin in Hülsen hat extra für mich eine Treppe zur Aller vom hohen Gras befreit. Das Boot bleibt gut verzurrt trotz Sturm und kräftiger Strömung (Aussenkurve) im Wasser. Während ich die wenigen Meter zu der Pension gehe setzt Regen ein. Wiedermal Glück gehabt.

4. Tag: Hülsen bis Achim (39km)
Nur das Umtragen mit der Lore am Langlinger Wehr vor Achim ist bemerkenswert. Das letzte Stück der Aller und die Weser sind aufgestaut und langsam. Endlose Reihen von Campingplätzen, Motor- und Segelbooten.

5. Tag: Achim bis Bremen (26km)
Die Weser ist hier vor allem für Picknicks am Sandufer hübsch, sonst eher langweilig. Daher gute Gelegenheit die Weihnachtsgebäcksaison mit Printen und Marzipan zu eröffnen.In der Sportbootschleuse Hemelingen füllt ein Berliner Motorbootfahrer mit Frau die Schleuse mit Aggression. Am Abend beim Ruderverein führe ich ein sehr interessantes Gespräch über Selbstbauboote (Kajaks, Coastal Rower) und Segelboote.

6. Tag: Bremen bis Oldenburg (62km)
Abfahrt kurz vor Sonnenaufgang und höchstem Tidewasserstand. Es gibt Probleme mit dem Navi und ich merke wie abhängig – insbesondere auf größeren Gewässern mit markierten Fahrwassern – ich inzwischen von diesem Gerät bin. Schönes Rudern auf glattem Wasser mit Bremen Panorama. Langsam nimmt die Tideströmung zu, dazu leichter Schiebewind und Sonnenschein. In Farge um 10Uhr sind die Kirchenglocken auf dem Wasser zu hören. Es geht nicht schöner! Bis zum Kippen der Tide bleibt mir eine Stunde für eine willkommene Pause auf Elsflether Sand. Die frühe Abfahrt hat sich gelohnt. Mir fällt dabei eine gern erzählte Anekdote eines Ruderkollegen aus Braunschweig ein, der in ähnlicher Situation wohl in Höhe Harriersand vergeblich versucht hatte gegen die Tide voranzukommen.Die Weiterfahrt auf der Hunte aufwärts bis Oldenburg ist Fronarbeit.

7. Tag: Oldenburg bis Elisabethfehn (41km)
Das Rudern auf dem Küstenkanal ist schlimmer als befürchtet. Der Straßenlärm von der Bundesstrasse ist heftig. Ich habe das Gefühl auf dem Standstreifen der A2 zu rudern. Lange eintönige Geraden führen zu Momenten der Anfechtung. Erleichterung bei der Einfahrt in den Elisabethfehnkanal. Bei der vorletzten (angeblich leicht umzutragenden) Schleuse setzt Regen ein. Bei strömendem Regen stehe ich in Elisabethfehn mit Boot auf dem Bootswagen an einem Straßen Stoppschild und warte auf eine Lücke im dichten Autoverkehr. Ich nähere mich dem Tiefpunkt der Tour. Der Tiefpunkt ist erreicht, als mir bei der letzten Schleuse kurz vor Sonnenuntergang bei Regen das nasse Boot wegrutscht während ich es an der Böschung auf den Bootswagen heben möchte. Irgendwie knallt mir das Boot dabei ins Gesicht und meine Lippe beginnt zu bluten.Der Tag endet glimpflich – dank der netten Menschen vom Campingplatz Elisabethfehn (Geheimtip) – in einem trockenen und gemütlichen Campingfass.

8. Tag: Elisabethfehn bis Leer (Bingum) (28km)
Bei Hochwasser mit Blick über die Deiche, mit aufgehender Sonne und noch ohne Wind ist das Rudern auf der Leda einfach schön. Ich erinnere mich an eine Tour in den Osterferien vor vielen Jahren und fühle mich zuhause. Der faire Ausgleich für den gestrigen Tag.Nach Vereinigung mit der Jümme nimmt die Strömung der Leda weiter zu und spült mich bei Leer in die Ems.

9. und letzter Tag: Leer bis Aurich (46km)
Bei Abfahrt in Bingum ist der Tidenstrom schon kräftig, der Wind noch schwach und ich kann mich auf Strömung, Reusen und Buhnen konzentrieren. Als Oldersum fast erreicht ist nehmen Wind und Wellen zu und auf dem letzten Kilometer vor der Schleuse wird mir nochmal der notwendige Respekt vor dieser Art Gewässer vermittelt. “Fühle Dich hier nicht zu sicher!”. Die Schleusung in Oldersum verläuft zügig und auf dem Ems Seitenkanal entwickel ich den Ehrgeiz noch vor der Mittagspause die Schleuse in Emden zum Ems-Jade-Kanal zu erreichen. In der Verbindungsschleuse unterläuft mir ein Fehler: ich interpretiere ein Geräusch als Öffnen des Schleusentores, verlasse zu früh meinen Haltepunkt (Peikhaken an Leiter) und drehe mich in der Folge einmal in der Schleusenkammer – zum Glück ohne Konsequenzen. “Fühle Dich hier nicht zu sicher!”. Bei strömendem Regen und sehr kräftigem Schiebewind rudere ich den Ems-Jade-Kanal entlang und teste die Rumpfgeschwindigkeit aus – leider ohne ins Gleiten überzugehen. (Bei 5,5m Länge sollte die Rumpfgeschwindigkeit 10,5km/h betragen, ich erreiche gemäß GPS 10,0km/h.)Ich beende die Fahrt beim Auricher Ruderverein Argo, treffe dort ein paar alte Freunde und bekomme die Erlaubnis mein Boot dort für ein paar Tage unterzustellen.

Kilometerbilanz:
Oker: 1km; Aller: 144km; Weser: 73km; Hunte: 25km; Küstenkanal: 31km; Elisabethfehnkanal: 15km; Leda: 26km; Ems: 15km; Ems Seitenkanal: 11km; Ems-Jade-Kanal: 21km; Gesamtstrecke: 362km