Vorbereitung
Im Herbst 2023 beginnen die ersten Planungen für eine Rudertour mit einem Coastal 4x+ an der Ostfriesischen Wattenmeerküste von Emden nach Wilhelmshaven.
Für die Tour soll der Coastal Vierer «Freesland», ein SWIFT Boot vom Landesruderverband Niedersachsen, das beim Ruderverein RV Argo in Aurich stationiert ist, ausgeliehen werden. Gemäss Gezeitentabelle und Tageslängen wird die Rudertour vom 30. Juni bis 07. Juli 2024 angesetzt und ein festes, zentral gelegenes Übernachtungsquartier bei Dornumersiel gebucht. Sechs Ruderinnen und Ruderer, namentlich Annette, Dimitri, Frank, Hans-Martin, Juliane und Rainer, wollen den Versuch zu dieser Wattenmeer Tour unternehmen.
Für Samstag, den 29. Juni 2024 sind Treffen und Bootsverladung beim RV Argo in Aurich vereinbart. Die Hildesheimer bringen dankeswerterweise ihren grossen Vereinsbus für den Transport der Ausrüstung (Skulls, Slipwagen etc.) sowie für den Landdienst mit. Wir verladen den Coastal 4x+ auf den Trailer und fahren zum Bootshaus des Emder Rudervereins, wo das Abenteuer beginnen soll.
1. Tag, 30.6 : Emden – Knock, 19km
Nach kurzem Frühstück im Bootshaus des Emder Rudervereins legen wir um 6:20 Uhr in Richtung Hafen ab und schleusen um 7:15 Uhr (1/2 Stunde vor Hochwasser) durch die Nesserlander Schleuse. Bei Windstärke 3 aus Nord rudern wir auf die noch ruhige Ems.
Auf den letzten Kilometern zwischen Knock-Schöpfwerk und Seebrücke steht der Wind gegen zunehmend stärker werdenden Tidenstrom. Es bilden sich kurze Wellen von geschätzten 0,7m Höhe, die die Seegängigkeit der “Freesland” und ihrer Mannschaft erstmalig auf die Probe stellen. Um 9:20 Uhr ist das Tagesziel erreicht und wir verbringen den Rest des Tages mit Kaffeetrinken, Museumsbesuch, Sightseeing und Schlafnachholen.
2. Tag, 1.7 : Knock – Leysiel – Norddeich, 45km
Um 6:30 Uhr, etwa 1,5 Stunden vor Hochwasser, legen wir an der Knock gegen noch kräftig auflaufendes Wasser ab. Der Wind weht mit Windstärke 4 aus West und dreht später auf Nord-West.
Nach Passieren des Leitdamms halten wir uns in Richtung Küste über dem Watt, um der gegen uns laufenden Tidenströmung auszuweichen. Danach geht es mit gelegentlichen Regenschauern nordwärts in Richtung Tonne L14, die die Einfahrt in das ausgeprickte Fahrwasser der Ley markiert. Nach vier Stunden konzentriertem Rudern mit Wasser von allen Seiten legen wir am Schwimmsteg vor der Schleuse Leysiel an, machen uns landfein und fahren nach Greetsiel.
Nach dem Landgang mit Fish & Chips geht es zurück nach Leysiel und in die nassen Rudersachen. Zwei Stunden nach Niedrigwasser legen wir wieder ab, rudern zunächst gegen die Strömung um den Hamburger Sand und weiter mit auflaufendem Wasser durch das Norddeicher Wattfahrwasser bis zur Mole und dem Hafen von Norddeich.
3. Tag, 2.7 : Norddeich – Nessmersiel, 26km
Weil Windstärken von 4 bis 5 aus West angekündigt sind, entscheiden wir, nicht an das Westende von Norderney, sondern in einem Zug geschützt durch das Wagengat in Richtung Nessmersiel zu rudern. Wir legen nachmittags bei Niedrigwasser in Norddeich ab und erreichen nach einer Stunde das Wattenhoch im Wagengat.
Etwa eine Stunde müssen wir warten und treideln, bis wir das Wattenhoch passieren und weiter in Richtung Leuchtturm, Norderneyer Wattfahrwasser und Ostende rudern können. Durch Wind gegen Tidenstrom und vom Seegat kommendem Seegang entstehen unangenehme Wellen. Weil wir bereits länger als geplant unterwegs sind, verzichten wir auf einen Landgang an der exklusiven Anlandestelle am Norderneyer Ostende.
4. Tag, 3.7 : Nessmersiel – Bensersiel, 18km
Gut 1,5 Stunden vor dem Vormittags-Hochwasser in Nessmersiel legen wir ab. Der Wind weht unverändert kräftig mit Windstärke 4-5 aus West. Starker zu erwartender Wellengang im Seegat zwischen Baltrum und Langeoog veranlaßt uns, auch heute einen ursprünglich geplanten Inselbesuch ausfallen zu lassen und geschützt über das Watt zu fahren. Als wir im Wattfahrwasser vor Baltrum eine unter Motor fahrende Segelyacht lässig überholen, können wir unser Mitleid mit dem Segler nur schwer verbergen.
5. Tag, 4.7 : Bensersiel Leitdamm hin und zurück, 4km
Der Plan ist, trotz stärker gewordenen Windes (Windstärke 5, in Böen 7, Sturmwarnung des DWD), mit gleicher Strategie wie am Vortag über das Watt bis zum Leitdamm von Neuharlingersiel und weiter bis Harlesiel zu rudern. Wir legen gut zwei Stunden vor Hochwasser in Bensersiel ab und rudern gegen auflaufendes Wasser und Seitenwind am Leitdamm entlang.
Je weiter wir hinausfahren, umso größer wird der notwendige Vorhaltewinkel (ca. 30 Grad) und umso schwieriger wird es, das Boot auf Kurs zu halten. Um in den Wellen ein unkontrolliertes Ausbrechen des Bootes zu verhindern, muss der Kurs immer öfter durch überziehen stabilisiert werden. Kurz vor dem Ende des Leitdamms, nach dessen Passieren kein Umkehren mehr möglich sein würde, entscheide ich, diesen Versuch abzubrechen und in den Hafen von Bensersiel zurück zu fahren. So ist das Leben…
Das Boot war nicht mehr sicher manövrierbar. Wären wir weitergefahren, hätten wir keinen kontrollierten Kurs mehr einhalten können.
In Anbetracht der Wetterprognosen für die nächsten beiden Tage beschliessen wir, das Boot nach Pilsum zu trailern und binnen über das Neue Greetsieler Sieltief nach Emden und von dort weiter nach Aurich zu rudern.
6. Tag, 5.7 : Pilsum – Emden, 23km
Statt im Wattenmeer rudern wir heute durch das Pilsumer Tief und das Neue Greetsieler Sieltief zum Emder Ruderverein. Das Greetsieler Sieltief ist eng und kurvenreich, das Coastalboot – obwohl sehr wendig – ist hier bei Wind und engen Kurven schwerer zu kontrollieren als ein Gig-Vierer.
7. Tag, 6.7 : Emden – Aurich, 22km
Eine Schleusung durch die Kesselschleuse in Emden ist immer besonders. Das Rudern auf dem Ems-Jade-Kanal bei kräftigem Rückenwind und gelegentlichem Blick über den Deich ist entspannend, die Schleusung in Rahe problemlos. Die freundlichen Pächter von Kukelorum öffnen uns nach etwas Überzeugungsarbeit den Biergarten für ein paar Runden “Moorwasser”.
Beim RV Argo endet zunächst die Wanderfahrt. Die “Freesland” wird geputzt und auf den Trailer gelegt. Bei strömendem Regen unter dem Terrassendach des Bootshauses trinken wir Tee, hören alte und erschaffen neue Heldengeschichten.
Fortsetzung der Tour sieben Wochen später
Während ein Redakteur der “Ostfriesischen Nachrichten” einen Artikel mit dem Titel “Den Naturgewalten ausgeliefert” über die bisherige Fahrt verfasst, verabreden wir vorbehaltlich geeigneten Wetters eine Fortsetzung der Fahrt für Ende August. Die “Freesland” wird reserviert und als die Prognosen eine stabile Hochdruck Wetterlage versprechen wird ein Quartier in Werdum gebucht. Zu der Gruppe bestehend aus Annette, Frank, Hans-Martin und Juliane kommen Ilka und Heinrich neu hinzu. Rainer und Dimitri verfolgen die Fortsetzung der Tour per Messenger.
8. Tag, 28.8 : Bensersiel – Spiekeroog – Harlesiel, 31km
Die Tage sind jetzt gegenüber unseren ersten Rudertagen Anfang Juli für unser Vorhaben merklich kürzer. Um die Wasserscheide von Langeoog sicher überqueren zu können, legen wir eine Stunde vor Hochwasser um 6:00 Uhr in Bensersiel ab. Den Sonnenaufgang erleben wir auf dem Wasser, nachdem wir das Bensersieler Fahrwasser verlassen haben.
Bei bestem Wetter verbringen wir sechs Stunden auf Spiekeroog und rudern nachmittags mit auflaufendem Wasser hinter die Mole und in den Hafen von Harlesiel. Die kurze Slipanlage auf der Westseite des Hafens ist zwei Stunden vor Hochwasser zunächst nur über Schlick und Sand erreichbar. Als dann der Bus aus Bensersiel nachgeholt ist, haben wir mit steigendem Wasser das Boot nach und nach bereits auf die Rampe gezogen.
9. Tag, 29.8 : Harlesiel – Minsener Oog – Hooksiel, 30km
Den Sonnenaufgang erleben wir im Hafen beim Aufrüsten des Bootes. 1,5 Stunden vor Hochwasser legen wir ab und nehmen nach Passieren des Molenkopfes direkt Kurs auf die Südspitze von Minsener Oog. Am Vorabend hatten wir uns für diese Strecke entschieden, weil bei den möglichen Varianten über Wangerooge das Risiko bestanden hätte, Hooksiel erst nach Sonnenuntergang zu erreichen.
Fünf Stunden verbringen wir auf dem “bald verlorenen Paradies” mit Baden, Schlafen, und Spazierengehen. Wir haben keine Lust das schwere Boot vor der Weiterfahrt mehrere hundert Meter über Sand und Schlick zu tragen. Eine Ankerwache sorgt daher dafür, dass das Boot schwimmend mit improvisiertem Anker dem ablaufenden Wasser in Richtung Pril nachgeführt wird.
Mittags dreht der Wind auf Nordwest und wird unsere Weiterfahrt entlang der Wattkante in die Jade hinein unterstützen. Wind und Wetter könnten in diesen Tagen kaum besser sein.
Meine Ungeduld und die Planänderung – Minsener Oog statt Wangerooge – führen dazu, dass ich die Anlegesituation in Hooksiel nicht mehr richtig bedenke. Als ich vor einigen Monaten bei Hochwasser den Hafen angesehen hatte war der Strand nördlich der Hafeneinfahrt im Vergleich zu der Slipanlage die eindeutig bessere Option. Bei allen bisherigen Planungen war ich immer von einer Ankunft in Hooksiel von höchstens 3 Stunden vor Hochwasser ausgegangen. Als wir um 16 Uhr nur eine gute Stunde nach Niedrigwasser in Hooksiel ankommen, ist die Enttäuschung groß. Statt Sandstrand haben wir etwa 200m Schlick vor uns. Zwei Stunden länger Chillen auf Minsener Oog hätte uns viel mühsame Schlepperei in Hooksiel erspart.
10. Tag, 30.8 : Hooksiel – Wilhelmshaven, 19km
Gut zwei Stunden vor Hochwasser wird die “Freesland” ohne Aufwand ins Wasser geschoben und fährt auf die Jade hinaus. Auf dem letzten Abschnitt dieser Tour habe ich Landdienst. Ich fahre den Bus mit Trailer an den Industrieanlagen des Jade-Weser Ports vorbei nach Wilhelmshaven und bereite das Anlegen und das Unterstellen des Bootes vor. Die Einfahrt der “Freesland” in den Nassauer Hafen empfinde ich als besonderen Moment.
Fazit
Wir haben ein Coastal Regatta Boot unter Bedingungen genutzt, für die es nicht konstruiert wurde. Die hohe Geschwindigkeit war hilfreich in Situationen, in denen gegen die Strömung gefahren werden musste. In höheren kabbeligen Wellen haben wir uns weitgehend sicher gefühlt. Der relativ geringe Tiefgang (Achtung Finne!) hat uns mit gelegentlichem Loten erlaubt, ruhig über dem hohen Watt zu fahren. Die Wendigkeit des Bootes, die beim Umrunden von Bojen ein Vorteil ist, haben wir dagegen als Kursinstabilität nachteilig empfunden.
Mit der Ausrüstung (Trailer, Bootswagen, Slipwagen, Sliprollen, Schaumpolster, Fender, Schöpfgefäße, Kajakpumpe, Peikhaken, Navi, Kompass, Seesäcke und Befestigungen) haben wir experimentiert und einiges davon während der Fahrt aussortiert. In manchen Situationen wäre ein kleiner Anker nützlich gewesen. Den Umgang mit dem Boot an Land haben wir mit Polstern, Wagen und Trailer soweit verfeinert, dass wir das schwere Boot in den meisten Fällen rückenschonend auch mit kleinerer Mannschaft bewegen konnten.
Wir alle rudern seit vielen Jahren, haben viele Wanderfahrten und Jahreskilometer in unseren Fahrtenbüchern und Erfahrung mit dem Rudern auf offenem Wasser. Bootsführerscheine, Sprechfunkzeugnisse und sonstige Zertifikate waren ausreichend vorhanden, das Wichtigste war aber die gute Revierkenntnis unseres Seekajakfahrers.