Vor einem halben Jahr hatte ich mich für eine Rudertour mit dem Ozeanruderboot “Roxy” beworben, mußte ein kurzes Interview per Zoom absolvieren, Geld überweisen und meine Ausrüstung geringfügig erweitern.
Die Firma “Rannoch Adventures” in England baut Ozeanruderboote nicht nur für die Talisker Whisky Challenge sondern bietet auch kleinere organisierte Touren mit diesen Booten an. “Roxy” ist ein Boot mit acht Ruderplätzen (Riemen), mit bis zu sechs Schlafplätzen und wird mit einer Mannschaft von zwölf Personen gefahren. Geplant ist von Oban aus die Strecke “Rund um die Insel Mull” zu fahren. Vorher ist das Boot schon einige Kilometer in und um Schottland herum gerudert worden. [Roxy Tracker]
Der erste Rudertag beginnt mit einer Enttäuschung. Aufgrund des südlichen Windes entscheiden die beiden Skipper Mark und Chris die Umrundung der Insel nicht zu beginnen. Statt dessen wird die Einführung in das Boot ausgedehnt und eine kürzere Rundtour um eine kleine Oban vorgelagerte Insel vorgeschlagen.Vermutlich wird die Einführung in das Boot von den übrigen Teilnehmern als lästige Pflicht empfunden. Für mich ist sie sehr ergiebig und ich stelle fest, daß ich mir zu vielen der angesprochenen Dinge schon selber ähnliche Lösungen überlegt hatte.
Eine Auswahl:
– Fixierung der schweren Rollsitze bei Verlassen des Ruderplatzes ist zwingend (Verletzungsgefahr)
– zuverlässige Fixierung der Lukendeckel durch Seile (“Bremse” allein reicht nicht)
– Ein etwa 2m langes und 50cm breites Schwert auf 30% Bootslänge gegen Rollen und Abdrift
– Die Steuerstrategie mit manuellem Steuer und Autopilot (Kompass-Mode) verbunden jeweils mit manuellem Überprüfen der Abweichung zum Track zwischen gesetzten Waypoints
– Navigation mit Navionics App
– Notwendigkeit einer gut zugänglichen und gut sichtbaren Bedieneinheit für den Autopiloten
– manuelle Steuerung besser über Steuerseil – haptisch angenehm und mit Untersetzung – statt über Pinne und Pinnenausleger (entspricht eher der Intuition von Ruderern)
– Windfahne und Anemometer
– Einteilung in 2-Stunden Schichten bei Tagesfahrten, 3-Stunden Schichten bei Fahrten > 24h.
Neue Ideen, zu denen ich mir selber noch keine Gedanken gemacht hatte:
– Sicherung der Riemen/Skulls
– Permanentes Tragen eines Harness/Sicherungsgurtes (auch wenn keine Rettungsweste getragen wird) und permanente Sicherung mit elastischen Y-Sicherungsleinen
– Rettungswesten nur mit manueller Auslösung
– Technik des Toilettengangs unter Wahrung eines Minimums an Privatsphäre
– Heisses Wasser auf Vorrat mit dem Jetboil erzeugen und in großer Thermoskanne vorhalten. (praktisch für mehrere Portionen Essen und den Kaffee danach)
– Schüsseln, die den gesamten Inhalt einer Mahlzeit-Packung aufnehmen können
– Piezo-Zünder des Jetboil Kochers ist unzuverlässig, daher (leeres) Feuerzeug notwendig.
Ich muß zugeben, daß die klare Zuordnung der Verantwortung an den Skipper bei einer Mannschaft von zwölf Personen und einem relativ komplexen Vorhaben sehr praktisch ist. Mark sagt was getan wird und selbst mir fällt es schwer ihm zu widersprechen. Das Rudern selbst erweist sich als durchschnittlich. An Bord sind ein völliger Ruderanfänger und einige durchaus erfahrene Ruderinnen, die allerdings zum ersten Mal in einem Boot mit Rollsitz rudern. Das alles führt dazu, daß ich nach etwa 1,5 Ruderschichten und 16NM rechtschaffend müde bin. Die Einfahrt in den Hafen und das Einfahren in die Box entwickelt sich – trotz Erfahrung und dank eines sehr rücksichtslosen Seglers unter Motor – zum großen Hafenkino. Ich werde mit Southern Cross vorläufig an meiner Strategie zum Verhalten im Hafen festhalten.
Nach der Rudertour des ersten Tages vor Oban verbringen wir die Nacht auf dem Gelände der Marina. Wegen des zunehmend stärker werdenden Windes wird das Rudern am zweiten der insgesamt fünf geplanten Tage vollständig abgesagt. Statt dessen gibt es Sightseeing und gemeinsames Kakaotrinken in Oban. Mark (1. Skipper) berichtet ausführlich von seiner Atlantiküberquerung und bleibt mir weiterhin sympathisch.Am dritten Tag ist der Wind unverändert kräftig und hat von SW auf W gedreht. Es wird entschieden, daß wir die etwa 8km lange Überfahrt zur “Isle of Mull” hinüber in den “Sound of Mull” über ungeschütztes offenes Wasser gegen den Wind in Angriff nehmen werden. Mark stimmt uns auf mindestens zwei sehr unangenehme Stunden ein. Ich habe das zweifelhafte Vergnügen auf Schlag zu beginnen, versuche das Boot mit langen Schlägen in Bewegung zu halten und beschließe den Rest zu ignorieren. “If you can endure it, endure it”Mit 1-2kn (SOG) quälen wir uns durch die Wellen und erst im Sound of Mull wird das Rudern erträglicher. Schnell ist die einfache Struktur der Abläufe auf dem Boot klar: Rudern, Schlafen, Essen, Bucketnutzung, Rudern usw. Für alles andere gilt: “What happens on the boat, stays on the boat”.Tobermory erreichen wir bei Sonnenuntergang, im Wartehäuschen der Fähre erwarten uns kühle Getränke und eine bunte Mischung Indischen Essens.
Die Nacht verbringe ich warm und trocken im “Coffin”, ein schmaler flacher Schlafplatz, teilweise unterhalb der Ruderplätze. Es gibt nur eine Stelle in dem “Coffin”, an der die Höhe ausreicht um das Becken zu drehen um sich auf die andere Seite zu legen.Am Morgen des vierten Tages wird auf der Grundlage der aktuellen Wetterprognose entschieden, daß eine Rückkehr nach Oban entlang der Seeseite der Isle of Mull bei dem weiterhin kräftigen Westwind nicht möglich ist. Die Überfahrt der etwa 30km weiten Bucht auf der Seeseite bei seitlichem kräftigem Wind und kräftiger See erscheint zu riskant.
Wir legen um 10Uhr in Tobermory ab, lassen uns mit halber Kraft einige Stunden in den schönen Loch Sunart hineinwehen um dann den Rest des Tages mit kaum spürbar ablaufendem Wasser aber gegen den immer noch kräftigen Wind zurück nach Tobermory und weiter in den Sound of Mull zurück zu rudern.
Als um 22Uhr wieder eine Ruderschicht für mich beginnt wird es gerade dunkel. Das Rudern in der Dunkelheit auf dem weiten Gewässer mit den Umrissen der Berge im Hintergrund und dem Sternenhimmel ist großartig. Bei der Ablösung vom Ruderplatz um 24Uhr hoffe ich, daß ich vor der geplanten Ankerpause in Lochaline nicht mehr rudern muß. Leider ist das Boot langsamer als gehofft. Um 2Uhr beginnt meine Ruderschicht und um 2:30Uhr legen wir im Hafen Lochaline an. Der aktuellen Ruderschicht fällt die Rolle als Ankerwache zu. Statt zu rudern liege ich bis 4Uhr bei gelegentlichem Regen auf dem Deck herum und friere trotz aller verfügbaren Pullover und Regensachen. Um 4Uhr werden wir abgelöst, die nächste Gruppe muß aufs Deck um zu frieren und wir dürfen mit den nassen Klamotten in die Kabine um irgendwie ein paar Minuten Schlaf zu bekommen.
Um 6Uhr legen wir in Lochaline ab – es ist sehr still an Bord, einigen ist anzusehen, daß sie gerade ihren kurzen Schlaf abgebrochen haben. Mit zunehmendem Tageslicht wird auch die Mannschaft etwas lebendiger. Ich selber bin froh als ich vom Schlagplatz (Steuerbord) auf die Backbordseite wechseln und mich einem kurzen energiesparenden Schlag anpassen kann, der Schiebewind ist inzwischen hinreichend kräftig um uns trotzdem in absehbarer Zeit zurück zu bringen. Um 12Uhr legen wir schließlich in Oban an. Ich verlasse das Boot 26 Stunden nach dem Einsteigen in Tobermory, bin ziemlich kaputt, müde und sehr zufrieden.Mit einem sehr verletzlichen Ruderboot sich auf Wind und Strömungen und auf andere Menschen nicht nur beiläufig einzulassen ist anstrengendes und intensives Erleben. Das gefällt mir. Das klassische Wanderrudern auf wohlgeordneten Gewässern in wohlgeordneter Landschaft mit wohlgeordneten Mannschaften hat andere Vorzüge.
Eine Beschreibung dieser und anderer Touren von Roxy aus Sicht der Organisatoren in etwas anderem Schreibstil ist im Roxy-Blog zu finden. An den vier Rudertagen haben wir das Boot über 102NM = 189km bewegt.