Seit längerer Zeit spiele ich mit dem Gedanken mir ein Wander-Ruderboot anzuschaffen. Ich wünsche mir ein Boot das akzeptabel schnell gerudert werden kann, für küstennahe Gewässer ausreichend seegängig ist, Gepäck für längere Wanderfahrten aufnehmen und an Land von mir alleine wie ein Kanadier transportiert werden kann.
Ich studiere die unterschiedlichen Bootskonzepte und Bootsproportionen von Booten, mit denen in der Vergangenheit Küstengewässer befahren wurden. Ich kenne die Geschichte von Hannes Lindemann “Im Faltboot über den Atlantik”, lese von Jill Fredston “Rowing the Latitude”, studiere die Segelkanus des 19. Jahrhunderts und schau den Film von Julie & Colin Angus “Rowed Trip – Scotland to Syria by Oar”. Danach ist klar, dass das Boot 5,50m lang und 90cm breit, d.h. die Proportionen eines Zweier Tourenkajaks haben sollte.
Jill Fredston – Rowing the Latitude
Im Frühjahr 2014 bestelle ich mir die 1:1 Pläne für das Ruderboot vom Typ “Expedition” von Angus Rowboats.
Die vorgesehene Bauweise “Stitch & Glue” ohne Helling erfordert präzise zugeschnittene Einzelteile. Als die Pläne ausgerollt vor mir liegen kommen mir Zweifel, dass es mir gelingen wird die Einzelteile maßgetreu aus dem Bootsbau-Sperrholz auszuschneiden und ohne Helling einen halbwegs geraden Rohbau zu erstellen.
Ich finde in Dänemark einen Bootsbauer, der Erfahrung mit dieser Bauweise hat und vereinbare mit ihm, dass er für mich den Rohbau des Bootes übernimmt. Im September 2014 beginnt der Bau des Bootes und im November hole ich den Rohbau aus der Nähe von Kopenhagen ab.
Im nächsten Schritt müssen Ruderplatz, hinterer Lukendeckel, Süllrand und die Aufnahmen für die Ausleger gebaut werden. Für die richtige Geometrie des Ruderplatzes unterstützt mich Olaf Wildeboer in Hannover, die Ausleger werden von Schröder-Rowing in Geesthacht geschweißt. Ende 2014 ist der ruderbare Rohbau schließlich fertiggestellt und ich hoffe zu diesem Zeitpunkt noch mit den Oberflächenarbeiten pünktlich zum Frühjahr/Sommer 2015 fertig zu werden.
Weil meine Werkstatt / mein Fahrradschuppen nicht beheizbar ist ruht im Frühjahr 2015 die Arbeit an dem Boot. Ich kann zwar kleinere Arbeiten machen – die großflächigen Epoxy-Arbeiten an den Oberflächen können wegen der niedrigen Temperaturen aber erst im Mai/Juni beginnen. Ich unterschätze den Zeitaufwand für das Schleifen, Spachteln, Schleifen, Lackieren … und kann – bevor ich Ende 2015 für einige Zeit nach Indien gehe – nur die Lackierung des Unterwasserbereichs abschließen. Die Schleif- und Lackierarbeiten an Cockpit, Deck und Lukendeckel sind erstmal zurückgestellt.
Mit der Unterstützung meines Nachbarn geht es im Frühjahr 2017 weiter. Schleif- und Spachtelarbeiten, für die ich ohne seine Hilfe Tage benötigt hätte, werden in wenigen Stunden erledigt. Das Boot wird für die letzte Lackschicht in eine Lackierkabine gebracht und am 23. April wird das Boot getauft und unternimmt die Jungfernfahrt auf dem Mittellandkanal.
Der Name NOVECENTO stammt aus dem Buch von Alessandro Baricco “Novecento: Die Legende vom Ozeanpianisten”. Während der Zeit des Bauens entdecke ich dann, daß ähnliche Boote mit der Bezeichnung “gedeckter Einskuller” im 19. Jahrhundert in den Anfängen des Wanderruderns schon in Deutschland genutzt wurden. (z.B. Friedrich Eduard Keller, Otto Protzen, Marie von Bunsen) Ein nicht geplanter aber dennoch sinnvoller Bezug des Namens. Vielleicht gelingt es mir mit dem neuen Boot Rudertouren aus dieser Zeit nachzufahren.