Auf dem Weg nach Unst

Auf dem Shetland-Mainland fahre ich heute in Richtung Norden, mit der Fähre auf die Insel Yell und von dort weiter auf die Insel Unst. Unst ist die nördlichste bewohnte Insel der Shetland Inselgruppe.

Das Radfahren ist einfach schön. Ich habe Glück mit Wetter und Wind. Die Strassen sind in gutem Zustand und es gibt nur wenig Verkehr. Ich sehe heute keinen einzigen anderen Radfahrer, dafür grüssen mich jetzt sogar entgegenkommende Autofahrer. Alle fahren sehr rücksichtsvoll.

Vereinzelt wird in kleinen begrenzten Bereichen – vermutlich nur für den persönlichen Bedarf – Torf gestochen. Die beindruckend weiträumige, karge und amphibische Landschaft wirkt wie ein Miniatur Norwegen.

Die gut fahrbaren Anstiege (< 9%) gehen selten über 100 Meter Höhe hinaus – summieren sich aber trotzdem zu vielen Höhenmetern. Dabei bewährt sich die gegenüber dem letzten Jahr geänderte Grundübersetzung meines Rades: ich nutze jetzt regelmässig auf den Anstiegen und Abfahrten (bis 45km/h) die volle Bandbreite der 14 Gänge der Rohloffnabe.

Interessant sind die vielen verlassenen und verfallenen Häuser und Höfe. Die Ruinen zeigen die Kamine oder Feuerstellen als die wichtigsten und robustesten Bestandteile der Häuser.

Ich vertue den Tag

Gestern Abend sitze ich zusammen mit zwei Mitbewohnern vor dem kleinen Firefox Ofen, ein Studentenpaar (Jura) aus Glasgow und Italien. Wir reden unter anderem über den Brexit und der junge Mann bekennt sich als “ideologischer EU-Befürworter”. Die EU solle sich möglichst schnell – ohne England/Wales – weiter integrieren. Diejenigen, die für “Leave” gestimmt hätten, seien die Armen und Dummen. Mir erscheint die unkritische EU-Euphorie der weltoffenen und gebildeten Menschen im Moment wenig nützlich zu sein um das Dilemma aufzulösen. Vielleicht war diese Euphorie – verbunden mit Arroganz – sogar eine der Ursachen der Spaltung. Und vielleicht haben es Menschen wie Juncker oder der unsägliche Herr Schulz auch einfach zu weit getrieben und lassen uns jetzt ungläubig vor dem Scherbenhaufen stehen.

Den Tag vertue ich mit Spazierengehen, Essen, Musikhören und Lesen – in wechselnder Reihenfolge.

Am Nachmittag kommt ein Mann in das Böd und repariert Feuermelder und Anderes. Ich bin im Moment der einzige Bewohner und nachdem alles gerichtet ist, kommt er in meinen Raum – ich höre Musik – und erstattet Bericht was gemacht wurde und was noch zu tun sein wird. Mir fällt dazu nur ein Begriff ein: “Werkstolz”. Diese Erfahrung ist nicht neu aber selten.

Shetlands

Die Fähre Aberdeen – Kirkwall – Lerwick fährt täglich um 17:00 ab, erreicht Kirkwall um ca. 23:00 und Lerwick am nächsten Morgen um 7:30. 34£ sind für eine derart lange Fahrt ein Schnäppchen – die Fährpreise sind subventioniert.

Nach Ankunft in Lerwick fahre ich auf der stark befahrenen Haupstrasse der Hauptinsel Shetlands in Richtung Norden. Erst als ich von der Hauptstrasse abfahren kann, beginne ich die tolle Landschaft richtig wahrzunehmen. Jetzt – endlich – bin ich angekommen, wo es mich die letzten Tage hingezogen hatte.

Auf den Shetland Inseln gibt es sogenannte Böds. Alte restaurierte Häuser, in denen man – ähnlich wie in Hütten in den Alpen – einfach aber gut im eigenen Schlafsack übernachten kann. Es ist eine unverbindliche Übung in einfachem Leben in karger Landschaft.

Dazu gehört auch, das Feuer in dem kleinen Firefox Ofen im gemeinschaftlichen Wohnraum zu unterhalten während ich den Blogeintrag schreibe.

Zuviel Landwirtschaft

Das ist heute einer der entspannteren Tage, obwohl am Ende in Aberdeen auch wieder einige Kilometer und Höhenmeter zusammengekommen sind. Zu Anfang ist die Strecke flach, der Wind unterstützt aus Südwest und ich leiste mir viele Pausen an schönen Stellen.

Etliche Kilometer fahre ich an verschiedenen und gut frequentierten Golfplätzen vorbei. Den Fahrradhelm trage ich hier als Schutz vor fehlgeleiteten Golfbällen.

Später wechseln grosse Obstplantagen unter Plastikfolie mit grossen Ackerflächen und Grünland ab. Dazwischen liegen diverse Mastbetriebe. Die Gegend wird von der Landwirtschaft geprägt.

Ein Lichtblick sind die hübschen kleinen Häfen auf der Strecke. Ich sehe einige der “St. Ayles Skiffs”. Das sind Boote, die die traditionellen Ruderboote an der Küste mit modernerer Bauweise nachbilden. Diese offenen Boote entsprechen von Länge, Breite und Riss etwa der “Southern Cross”. Wie wird sich wohl “Southern Cross” beim Trockenfallen verhalten?

Ich möchte endlich einsame Strassen und natürliche Landschaften. Mastbetriebe und den ständigen Geruch von Gülle kann ich auch im Landkreis Cloppenburg bekommen. Daher werde ich morgen mit der Fähre zu den Shetland Inseln fahren und von dort aus meine Tour fortsetzen.

Glück und Leid

Die Behauptung des Mitarbeiters von Sustrans scheint sich heute zu bestätigen. Die Strecke aus Edinburgh heraus ist gut ausgeschildert, auch die Wege und Strassen scheinen allgemein in besserem Zustand zu sein. Am Vormittag quere ich die Bucht Firth of Forth über die eindrucksvolle Forth Bridge.

Am Abend überquere ich die nicht weniger eindrucksvolle Tay Bridge vor Dundee. Auf beiden Brücken sind in geringen Abständen Schilder einer Telefonseelsorge am Brückengeländer angebracht. “- need to talk to someone?”

Es gibt aber auch Abschnitte am Brückengeländer, an denen die Paare der Region ihr Glück verewigt haben. Eine Weile denke ich mir Szenarien aus, wie einzelne Menschen die Brücken zu beiden Zwecken – Glück und Leid – genutzt haben könnten.

Auf den Gleish Hills erlebe ich für einige Kilometer eine weniger intensiv genutzte karge Natur. Der Rest der Strecke ist dagegen wieder stark landwirtschaftlich genutztes welliges Land und erinnert mich an die Fahrt durchs Weserbergland vor knapp drei Wochen.

Ich dachte, dass ich alle Widrigkeiten und Gemeinheiten des Radfahrens kenne. Heute habe ich eine neue Gemeinheit kennengelernt: Mit einem schweren Rad eine längere Strecke bergauf an Feldern entlangfahren, auf denen gerade Gülle ausgebracht wird.