Im Zug über die Berge

Der Plan vom Vorabend ist, mit einer Fährfahrt zu den Äusseren Hebriden den Regentag zu überbrücken und mich im Anschluss mit mehreren Fährfahrten über die Südlichen Hebriden an den Bergen des Trossachs Nationalparks vorbei zu mogeln.

Als ich die Tickets für die kunstvoll zusammengestellte Minikreuzfahrt kaufen möchte muss ich leider feststellen, dass eine wesentliche Fähre im Moment nicht fährt.

Die Sustrans Beschreibung empfiehlt die weitere mögliche Radstrecke von Oban in Richtung Süden (Campbeltown) für sportlich ambitionierte Fahrer. Inzwischen kann ich solche Formulierungen einordnen und kaufe mir notgedrungen ein Ticket für den Zug nach Glasgow und weiter nach Carlisle.

Das Fahrradabteil ist winzig und ein Fahrradticket wird mir erst nach einer halben Stunde Wartezeit ausgestellt, nachdem mögliche Vorreservierungen geklärt sind. Fahrräder sind in UK selten.

Die langsame Fahrt mit dem Zug durch die Berge – fast wie die Brockenbahn – ist eindrucksvoll und ich bin froh jetzt nicht auf einem Wanderweg mein Rad zu schieben.

Als ich in Carlisle den Zug verlasse hat der Regen aufgehört. Auf ruhigen Strassen bei angenehmen Temperaturen fahre ich ein paar Kilometer auf dem Hadrian-Wall-Radweg bevor ich mir in Banks ein B&B suche.

Im Regen nach Oban

Die Nacht im Zelt ist trotz einsetzenden Regens und einiger Windböen gemütlich. Ungemütlich wird es durch den Regen erst beim Frühstücken, Zeltabbauen und Beladen des Rads.

Bei allen Widrigkeiten ist zumindest der Radweg relativ neu und fast durchgängig. Nur an wenigen Stellen muss ich auf der vielbefahrenen Hauptstrasse fahren.

Weil Wetterbericht und Himmel erstmal keine Besserung  erwarten lassen fahre ich nur bis Oban, nehme dort ein Zimmer und trockne mich und meine Sachen.

Oban ist ein hübscher kleiner Ort und Ausgangspunkt vieler Fährverbindungen zu den Hebriden. Die vielen Restaurants werden von entsprechend vielen Touristen genutzt. Deutsch ist neben Englisch eine häufig gesprochene Sprache.

Ein Artikel in ZON und eine Erfahrung der letzten Tage bestätigt mich in der Überzeugung, dass menschliche Gehirne entgegen allen Hoffnungen utilitaristisch erscheinende sehr komplexe “Syntaktische Entscheidungsmaschinen” sind.

Auf einer einspurigen Strasse nähere ich mich mit dem Rad einer Ausweichstelle. Eine mir entgegenkommende vorsichtig fahrende Autofahrerin sieht mich und hält in der Ausweichstelle an. Bevor ich die Ausweichstelle erreiche überholt mich ein Motorradfahrer und passiert das wartende Auto. Die nette Autofahrerin fährt wieder an und passiert mich knapp ausserhalb der Ausweichstelle. Ihr Warten galt dem Motorradfahrer, nicht dem Radfahrer.

Was anderes als eine unbewusste Nutzenabwägung kann den Unterschied im Verhalten erklären, wenn man nicht “bösen Willen” bemühen möchte?

Wie hätte sich ein autonom fahrendes Auto verhalten und unter welchen Bedingungen wären wir bereit diesem ein ethisches Verhalten zuzugestehen? Ich vermute im Moment, dass ausschliesslich Komplexität und Ähnlichkeit der “Syntaktischen Entscheidungsmaschinen” unsere Intuition über “ethische” oder “menschliche” Qualität bestimmen. Ein Thema zur weiteren Behandlung, wenn ich wieder zuhause bin.

Caledonia Canal

Gestern war ein frustrierender Tag. Zunächst ging es über unangenehme Berge und am Nachmittag auf der Hauptstrasse am Loch Ness entlang. Froh Fort Augustus ohne Unfall erreicht zu haben gebe ich auf und suche mir früh ein Bett im Hostel.

Heute stelle ich fest, dass es für das Radfahren entlang der Lochs überhaupt nur zwei Optionen gibt: entweder selbstmörderische Fahrt entlang der Hauptstrasse oder auf der anderen Seite Fahren auf anspruchsvollen Mountainbike Strecken. Ich mag beides nicht.

Dafür ist die Fahrt zwischen den Seen entlang der Kanalstrecken wunderschön. Ich geniesse das einfache Radfahren und gleichzeitig ein tolles Bergpanorama. Diese Kombination ist einzigartig.

Hinter der Schleusentreppe vor Fort William (10 Schleusentore, wenn ich mich nicht verzählt habe) beginnt der Bereich der See. Der augenscheinlich grosse Tidenhub lässt eine interessante Uferlandschaft entstehen.

Zum erstenmal seit den Niederlanden nutze ich wieder das Zelt. Die Siedlungen liegen weiter auseinander und eine sinnvolle Alternative ist nicht in der Nähe als es Zeit für die Suche nach einer Unterkunft ist.

Im Zelt sehe mir die Karten an und habe keinen guten Plan für die Strecke der nächsten Tage. Einerseits komme ich langsamer voran als ich es gewohnt bin (Müdigkeit, Strassenverhältnisse, Wind). Andererseits reizt mich die Fahrt durch Glasgow und quer durchs Land in Richtung Newcastle nicht besonders. Ich werde erstmal weiter an der Küste bleiben und auf eine gute Eingebung für den Rückweg nach Hause warten.

Highlands II

In Tongue habe ich in einem Hostel übernachtet. Die Hostel sind vergleichbar zu unseren Jugendherbergen. Jugendliche habe ich aber in den Hostels ausser in Aberdeen (eine deutsche Schulklasse) noch nicht angetroffen. Dafür aber begegne ich etlichen Rentnern, die wandernd oder mit dem Rad oder Motorrad unterwegs sind.

Nicht immer gelingt es mir ein Einzelzimmer zu bekommen. In Tongue teilen sich vier ältere Herren ein Dormatry, davon kommen zwei aus Deutschland (BMW aus Osnabrück, Fahrrad aus Gifhorn) und zwei aus UK. Ich werde flexibler hinsichtlich meiner Komfortansprüche.

Die Strecke durch Sutherland – etwa die ersten 40km – ist traumhaft schön. Die kurvenreiche einspurige Strasse führt zwischen den Bergen (“Ben Loyal”) an verschiedenen Seen vorbei.

In der ersten Stunde kommen mir in Abständen die neusten Sport- und Supersportwagen entgegen. Viele schöne Autos aus dem Konzern, aber auch Autos von Lotus und Ferrari. Der Lambo nimmt die gesamte Strassenbreite ein und es ist offensichtlich, dass es eine eher frustrierende Erfahrung ist, das Auto auf diesem Kurs zu bewegen.

So deplatziert diese Autos technisch und atmosphärisch in dieser Umgebung einerseits sind – etwas Faszination üben diese Autos doch auf mich aus: nutzlose Artefakte in einer nutzlosen Umgebung. Vielleicht sollte man sie als Kunstwerke betrachten.

Auf der Strecke gibt es gemäss Karte erst im Crask Inn die nächste Versorgungsmöglichkeit. Ich plane dort meine Mittagspause zu machen. Im Gastraum werde ich überschwänglich begrüsst und zum Essen eingeladen – irgendetwas ist hier komisch. Ich bin in ein “Kirchencafe” geraten. Am Vormittag (heute ist Donnerstag) hat hier der monatliche Gottesdienst stattgefunden und die Gemeinde sitzt jetzt zum Mittagessen zusammen. Ich habe keine Wahl, esse Schottische Graupensuppe mit Gemüse, werde über den Unterschied zwischen Harmonium und “American Organ” aufgeklärt und lass mir erklären, wie die Schottische Kirche in den Besitz dieses Inns mitten in den Highlands gekommen ist.

Bald gibt es erste kleine Waldstücke und schliesslich sind die Hügel wieder vollständig bewaldet. Jetzt weiss ich, wo die Kamikaze-Holztrucks, die ich gestern in der noch baumlosen Gegend gesehen hatte, ihr Holz abholen.

Highlands

Bei strahlend blauem Himmel fahre ich entlang der Küste in Richtung Westen. Die ersten 40km geht es zwischen Schafs- und Kuhweiden ohne grössere Steigungen so zügig wie es bei dem Gegenwind eben möglich ist voran. Dann ändert sich das Landschaftsbild: Die intensive Landwirtschaft endet, die Hügel werden zunehmend höher und Siedlungen und Strassen werden weniger. Ich erreiche die North Highlands.In dem Masse wie die Landschaft schöner und eindrucksvoller wird, nehmen auch die aus dem letzten Jahr bekannten Nachteile zu: Rotten von Motorradfahrern mit Helmkameras, Wohnmobile und rücksichtslose Autofahrer. Hier grüsst mich – anders als in Shetland – niemand mehr. Sogar die grossen Holztransporter, die ich im letzten Jahr in Schweden und Norwegen so gefürchtet hatte, sind wieder da. (Woher kommt bloss das Holz? Ich sehe hier keine Bäume.)Trotzdem überwiegt die Freude an der wunderschönen Landschaft und der Spass am Radfahren. So hatte ich mir die Highlands vorgestellt. Ich bin gespannt auf die kommenden Tage.