Irgendwie bekannt

Das Radfahren in Jütland ist wie Radfahren in Ostfriesland. Ein wenig mit dem Wind kämpfen und ansonsten immer geradeaus. Im Vergleich zu den abwechslungsreichen Strecken an der norwegischen Küste ziehmlich langweilig – aber mir gefällt es. Eine Radtour als Jugendlicher mit meinem “Favorit” Rennrad (mit Ledersattel wie mein jetziges Rad) in der Krummhörn kommt mir in Erinnerung. Seltsam.

Vor einigen Jahren bin ich in Dänemark den “Nordseeküstenradweg” an der Westküste Jütlands gefahren. Ich meine mich zu erinnern, daß ich damals die Tour in Frederikshavn beendet hatte. Offenbar eine fehlerhafte Erinnerung. Einzelne Abschnitte und Orte (z.B. die Fährfahrt in Hals, einzelne Straßenkreuzungen) erkenne ich ohne Zweifel wieder. Erstaunlich, daß solche Details in Erinnerung geblieben sind. 

Rücktransport

Nach der Fahrt mit der Hurtigrute bis Harstedt fahr ich mit dem Rad ca. 30km bis zur “Europastraße 10” (= E10). Dort nehme ich den Bus bis Narvik. Ich weiß nicht, daß in schwedischen Zügen die Mitnahme von Fahrrädern eigentlich nicht möglich ist. Mit symbolischer Demontage des Vorderrads und des Sattels gelingt es mir aber doch das Rad in die “Ofotenbahn” mitzunehmen.

Ab dem Ort Boden im Schwedischen Lappland ist der Zug bereits voll belegt. Ich übernachte dort und erlebe am Sonntag in dem Ort ein kleines idyllisches Dorffest – mit historischem Handwerk, Musik und selbstgemachtem Kuchen.

Von Boden aus nehme ich einen Direktzug nach Göteborg (16 Stunden Fahrzeit) und spare mir damit ein Umsteigen in Stockholm mit dem Rad. Die Diskussionen um die Fahrradmitnahme sind diesmal etwas umfangreicher als am Vortag.

Wegen der Schwierigkeit beim Radtransport in der Bahn und sehr kräftigem Westwind steht der Entschluss schnell fest noch heute mit der Fähre weiterzufahren. Statt nach Kiel fahre ich kurz entschlossen über das Kattegat nach Frederikshavn. Froh über die moderate Temperatur, die flache Strecke, das leichte Fahren und darüber endlich nicht mehr in Fähren oder Zügen rumhängen zu müssen radel ich gleich am Abend noch knapp 30km in Richtung Süden. Dann suche ich mir ein lauschiges Plätzchen um das Zelt aufzubauen.

Ich freue mich auf die jetzt wieder dunklen Nächte und die noch kommenden Tage auf dem Rad: jetzt in Dänemark, zwischen Getreidefeldern, Kartoffeläckern und Ostsee.

Hurtigrute

Um 5:45 Uhr fahre ich mit der “Richard With” der berühmten Hurtigrute in Honningsvåg ab. An Bord kann ich mein ursprüngliches Ticket bis Harstadt verlängern – diese Buchung ohne gleichzeitige Buchung einer Kabine war mir im Internet verwehrt worden. Geht doch!

Die Atmosphäre auf dem Schiff ist angenehm ruhig und sehr gediegen. Hier fährt das internationale “Seniorenstift” und weniger das deutsche “Altenheim” und ganz sicher kein schwäbischer Motorradfahrer mit Helmkamera.

Auf Deck 7 in der “Panorama Bar” geniesse ich die Aussicht, hole gelegentlich etwas Schlaf nach und lese – die angemessene Erholung nach dem gestrigen Tag. Das Schiff und die Fahrt erhält von mir 5+ Sterne und eine uneingeschränkte Empfehlung (Variante ohne Kabinenbuchung).

Nordkapp

Meine Erwartungen an die heutige Strecke und an das Nordkapp selber waren gering und werden enttäuscht. Laut Wetterbericht 8ºC, Wind aus Nord mit 7m/sec und Regen. Dazu dichter Nebel auf der ganze Strecke. Von der Insel sehe ich nichts außer ein paar Rentieren direkt am Strassenrand. Längere Strecken muss ich zu Fuß gehen und mein Rad (ohne Gepäck) mit Kraft festhalten, daß es mir von dem Sturm nicht fortgerissen wird.

Am Nordkapp muss ich nach “dem Globus” fragen um ihn im dichten Nebel zu finden obwohl ich 50m davor stehe. Die anderen Nordkapp Gäste entsprechen dem Vermuteten – auch sie sind enttäuscht von dem was sie sehen.

Der Weg war heute sicher nicht das Ziel. Diesmal war tatsächlich das Ziel selber und vor allem dessen Symbolik das Ziel.

Sportlich

Mit dem versprochenen Sonnenschein und dem Rückenwind klappt es nicht. Ich erinnere mich an MD’s Empfehlung die gesamte Strecke wegen des vorherrschenden NW-Winds doch besser von Nord nach Süd zu befahren. Zumindest auf diesem Teilstück würde ich es heute gerne tun und betrachte das Radfahren ganz von der sportlichen Seite.

Vielleicht ist es Gewöhnung oder Müdigkeit – die Landschaft an der Küste empfinde ich als nicht so spektakulär wie gestern in den Bergen. Es ist jetzt auch an der Küste praktisch baumlos. Interessant ist das “morsche” Gestein – der Reiseführer erklärt das fein strukturierte / zerkleinerte Gestein durch Frostsprengung.

Ich versuche Fotos von einer großen Möwenkolonie zu machen. Kurze Zeit später verstehe ich worauf es die Möwen hier abgesehen haben. Das Wasser vor dem Ausguck der Möwen “kocht” – ein großer Fischschwarm taucht auf und bleibt eine ganze Weile direkt unter der Wasseroberfläche und die Möwen bedienen sich. In der Menge und Intensität habe ich dieses Schauspiel vorher nicht gesehen.

Die Fahrt durch den Nordkapp-Tunnel hinterlässt bei den meisten Radfahrern einen “tiefen” Eindruck. Der Tunnel führt zunächst mit 9% Gefälle in eine Tiefe von ca. 300m unter Meeresspiegel. Direkt nach der Einfahrt wird es sehr kalt, die Luft ist feucht, es riecht nach Fisch(!), die Strasse ist nass und rutschig und zusätzlich zu den Autos erzeugen die großen Ventilatoren einen ohrenbetäubenden Lärm. Während ich die 3 km in die Tiefe rolle stelle ich mir vor, daß ungefähr so die spätere Fahrt in die Hölle ablaufen könnte (wenn ich sie denn mit dem Fahrrad antreten sollte). Unten angekommen suche ich nach der Abzweigung in Richtung Hölle/Fegefeuer und finde diese. Sinnvollerweise sind am Eingang Feuerlöscher zum Mitnehmen angebracht um die Zeit im Fegefeuers unbeschadet zu überstehen. Hätte es diese Lösung doch schon vor 500 Jahren gegeben: “gratis Feuerlöscher statt teuer Ablassbrief”. Die Fahrt zurück ans Tageslicht ist mühsam und alternativlos. Am Tunnelausgang werde ich von einem älteren norwegischen Paar “empfangen”. Ich schimpfe gemeinsam mit ihnen über deutsche Wohnmobilfahrer – es gibt wirklich Idioten unter ihnen – und stelle damit mein seelisches Gleichgewicht wieder her.

Am Abend plane ich den weiteren Verlauf der Reise. Das Nordkapp liegt in einer Sackgasse. Rechtfertigt das Symbol bei dem angekündigten Regen und den niedrigen Temperaturen den Umweg? Das Ticket für die Hurtigrute gilt für übermorgen, den 14. Juli.