Der Tag beginnt mit wolkenverhangenem Himmel und endet mit ein paar Stunden Regen. Bei einem Zwischenstop rede ich länger mit einem jungen Norweger aus der Gegend – und beklage mich dabei über die Kälte. Der lacht und erklärt, daß hier jetzt für sie schönstes Sommerwetter sei. Die Maßstäbe sind verschieden und irgendwie hatte ich immer schon geahnt, daß es hier im Norden kälter werden würde. Der Wetterbericht für morgen lässt hoffen. Gelegentlicher Sonnenschein bei ca. 10 Grad.
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Rückenwind
Um es positiv auszudrücken: die Lofoten Inseln sind touristisch stark erschlossen. Eine grandiose Landschaft – aber eben kein Geheimtip. Die Küstenstraßen sind sehr angenehm zu fahren und mit Rückenwind und trotz gelegentlichem Regen macht das Fahren heute wieder Spaß.
Besonders schön ist eine längere Nebenstrecke zur E10 auf der ich völlig ungestört bin. Auf der E10 selber schieben sich die Mietwagen, die Reisebusse und die Wohnmobile an mir vorbei. Am Nachmittag verstehe ich dann was die die Insassen der rollenden Altenheime hier eigentlich wollen: sie sind auf Wohnungssuche. Pech nur, daß die besten Lagen an der Nebenstrecke zu finden sind.
Lofoten
Beim Frühstück in Ørnes treffe ich einen älteren Radfahrer wieder, den ich schon am Tag vorher kurz gesehen hatte. Wie sich später herausstellt ist er Norweger aus Brønnøysund, der die Strecke Brønnøysund – Tromsø bereits „13 oder 14“ mal mit dem Rad gefahren ist. Er hat die besten Strecken, die besten Übernachtungsmöglichkeiten und die Abfahrtszeiten der Fähren im Kopf. Er – wie auch andere Radfahrer – empfiehlt die Expressfähre von Ørnes nach Bodø und rät von der Weiterfahrt auf der „17“ ab (landschaftlich nicht reizvoll, sehr anstrengend und gefährlich).
Mir ist das sehr Recht – meine Beine sind schwer von den letzten Bergetappen. Also lege ich einen Fährentag bis Moskenes ein. Die Linienfähren in Norwegen sind relativ günstig wenn man mit dem Rad unterwegs ist. Die Herausforderung besteht darin herauszubekommen wann und wo sie fahren. Hier hilft weder mein Radreiseführer noch sind die Fahrpläne in Papierform oder im Internet für mich hinreichend verständlich.
Schon länger habe ich den Verdacht, daß meine GPS-Route (von einer Website für Radrouten) nicht wirklich von einem Radfahrer sondern eher von einem Motorradfahrer aufgezeichnet wurde. Der Verdacht wird weiter erhärtet als ich mit „dem Norweger“ die weitere Strecke bespreche. Die geplante GPS-Route werde ich nicht mehr weiter nutzen und mich statt dessen an den Empfehlungen real existierender Radfahrer und der Papierkarten orientieren.
In Bodø verdöse* ich auf dem Marktplatz bei schönem Wetter die Zeit bis zur Abfahrt der Fähre. Mit der Fahrt zur südlichen Spitze der Lofoten Inselgruppe (Røst, Værøy, Moskenes) fahre ich dem schlechten Wetter entgegen, das laut Vorhersage noch bis morgen andauern wird.
* für Leser in Indien: „dösen“ bedeutet „halb schlafend“
Polarkreis erreicht
Auf der ersten Fährfahrt werden wir auf das Passieren des Polarkreises aufmerksam gemacht. Ein schöner Moment.
Doch bei aller Freude, dieses Ziel erreicht zu haben und bei aller Schönheit der Landschaft: diese Berge / Anstiege machen mich langsam verrückt und ich freue mich auf die Fährfahrten zwischendurch. Der 1. Gang der Rohloff Nabe hat heute viel zu tun.
Die Kette hat sich in den letzten drei Wochen – ohne dass ich es mitbekommen habe – soweit gelängt, daß sie bei einer Abfahrt den Kettenschutz „mitnimmt“. Längeres Schrauben am Straßenrand und völlig verschmierte Hände sind die Konsequenz. Mein nächstes Rad hat Riemenantrieb.
Es ist auch ein Tag extremer Temperaturunterschiede. Gerade bin ich bei sommerlichen Temperaturen mit Anstrengung die Steigung heraufgefahren, da kommt eine Abfahrt in einem 3km langen und sehr kalten Tunnel.
Der richtige Reisestil
Es tritt Gewöhnung ein – die Landschaft ist so spektakulär wie auf den vorherigen Etappen – und ich denke über den richtigen Rythmus des Reisens nach. Einerseits war ich in den letzten 20-30 Jahren nicht mehr so lange allein unterwegs wie jetzt. Andererseits erlebe ich jetzt die Urlauber mit Motorrad und Wohnmobil, die das Ende ihres Urlaubs schon im Blick haben, kaum daß sie losgefahren sind.
Weil ich am Morgen noch eine Stunde vor dem Zelt liege und dem Atlantik beim Wellenmachen zusehe, bin ich erst um 11Uhr auf der Strasse und habe deshalb ein schlechtes Gewissen. Das macht keinen Sinn!
Weil ich mich nicht über die Abfahrtszeiten der nächsten Fähre informiert habe, fährt sie mir direkt vor der Nase davon. Die eine Minute hätte ich locker früher am Anleger sein können. So glaube ich mehr als eine Stunde Fahrzeit zu „verlieren“. Auch das ergibt keinen Sinn!
Ein anderer Radreisender gibt mir den Tip, daß man von Nesna nach Stokkvågen ein Expressboot nehmen kann und man sich damit fast einen Tag unspektakuläre Kletterei und etliche Tunnelfahrten um den Sjonafjord herum sparen kann. Ich zahle 11Euro für eine schöne Fahrt mit dem Katamaran, erspare mir die Mühsal und frage mich danach, ob diese Aktion noch meinen sportlichen Maßstäben entspricht. Macht das Sinn?
Meine Schlussfolgerung aus dem heute Erlebten: es dauert länger als drei Wochen um sich einen passenden Reisestil anzugewöhnen.




