Mit dem versprochenen Sonnenschein und dem Rückenwind klappt es nicht. Ich erinnere mich an MD’s Empfehlung die gesamte Strecke wegen des vorherrschenden NW-Winds doch besser von Nord nach Süd zu befahren. Zumindest auf diesem Teilstück würde ich es heute gerne tun und betrachte das Radfahren ganz von der sportlichen Seite.
Vielleicht ist es Gewöhnung oder Müdigkeit – die Landschaft an der Küste empfinde ich als nicht so spektakulär wie gestern in den Bergen. Es ist jetzt auch an der Küste praktisch baumlos. Interessant ist das “morsche” Gestein – der Reiseführer erklärt das fein strukturierte / zerkleinerte Gestein durch Frostsprengung.
Ich versuche Fotos von einer großen Möwenkolonie zu machen. Kurze Zeit später verstehe ich worauf es die Möwen hier abgesehen haben. Das Wasser vor dem Ausguck der Möwen “kocht” – ein großer Fischschwarm taucht auf und bleibt eine ganze Weile direkt unter der Wasseroberfläche und die Möwen bedienen sich. In der Menge und Intensität habe ich dieses Schauspiel vorher nicht gesehen.
Die Fahrt durch den Nordkapp-Tunnel hinterlässt bei den meisten Radfahrern einen “tiefen” Eindruck. Der Tunnel führt zunächst mit 9% Gefälle in eine Tiefe von ca. 300m unter Meeresspiegel. Direkt nach der Einfahrt wird es sehr kalt, die Luft ist feucht, es riecht nach Fisch(!), die Strasse ist nass und rutschig und zusätzlich zu den Autos erzeugen die großen Ventilatoren einen ohrenbetäubenden Lärm. Während ich die 3 km in die Tiefe rolle stelle ich mir vor, daß ungefähr so die spätere Fahrt in die Hölle ablaufen könnte (wenn ich sie denn mit dem Fahrrad antreten sollte). Unten angekommen suche ich nach der Abzweigung in Richtung Hölle/Fegefeuer und finde diese. Sinnvollerweise sind am Eingang Feuerlöscher zum Mitnehmen angebracht um die Zeit im Fegefeuers unbeschadet zu überstehen. Hätte es diese Lösung doch schon vor 500 Jahren gegeben: “gratis Feuerlöscher statt teuer Ablassbrief”. Die Fahrt zurück ans Tageslicht ist mühsam und alternativlos. Am Tunnelausgang werde ich von einem älteren norwegischen Paar “empfangen”. Ich schimpfe gemeinsam mit ihnen über deutsche Wohnmobilfahrer – es gibt wirklich Idioten unter ihnen – und stelle damit mein seelisches Gleichgewicht wieder her.
Am Abend plane ich den weiteren Verlauf der Reise. Das Nordkapp liegt in einer Sackgasse. Rechtfertigt das Symbol bei dem angekündigten Regen und den niedrigen Temperaturen den Umweg? Das Ticket für die Hurtigrute gilt für übermorgen, den 14. Juli.
Habe ich richtig gelesen? Jetzt, da du dich durch eigenen Verdienst aus dem Fegefeuer gezogen hast, willst du kurz vor dem Ziel abdrehen? Wie willst du das eines Tages vor der Nachwelt rechtfertigen? Eine Radtour bis FAST zum Nordkapp? Eine Reise ohne symbolischen Abschlusspunkt? Kein Foto vom Globus?
Also, rauf aufs Rad, deine Fangemeinde erwartet es!
(Ich musste 2008 auch vor meiner Blogleserschaft zu Kreuze kriechen, als ich meine Seidenstraßentour in China abbrach; allerdings fehlten mir noch 4.000 km bis Peking und nicht 50.)