Günstige Bedingungen

Heute ist Sonntag, Europawahl und in vielen Orten Flohmarkt. Die LKWs fahren nicht, mässiger Wind aus WSW ist angekündigt und die Strecke ist meistens schnurgerade und totlangweilig. Seit einem Monat bin ich unterwegs, bin 3000km gefahren und fühle mich zunehmend besser auf dem Rad.

Die Bedingungen sind günstig, ich versetze mich in frühere Zeiten zurück und versuche eine längere Strecke zu fahren. Früher waren allerdings meine Geschwindigkeit höher und die Pausen weniger und kürzer.

Auf einem der Flohmärkte mache ich eine dieser längeren Pause mit Crepes und Wasser. Meine Nachbarn am Tisch trinken dagegen Champagner. Logisch: was sollen sie sonst trinken, ich bin schließlich in der Champagne.

Am Abend bin ich zufrieden. Die letzte Stunde am Tag auf dem Rad ist immer besonders. Manchmal überwiegt Sorge (wo komme ich unter etc.), manchmal Euphorie (es ist alles schön, das Rad läuft gut…), aber es ist immer ein intensives Empfinden. In dieser Phase sind meine “Gezeiten des Geistes” kurz vor Niedrigwasser.

Endlich wieder am Kanal entlang

Von Blois nach Orleans auf dem sehr schönen und gut fahrbaren Loire Radweg begegnen mir viele Radwanderer. Einige haben offensichtlich eine Radtour bei einem Reiseveranstalter gebucht, andere fahren in Gruppen mit kleinem Gepäck. Ich versuche mich in einer Typologie von Radwanderern.
In Orleans beginnt der Canal de Orleans. Endlich kann ich mal wieder – wenn auch kurz – an einem Kanal entlang fahren.
Hinter Orleans muss ich mir den Weg über die Nebenstrassen wieder selber suchen. Hier gibt es keine Radwege und keine Radwanderer. Statt dessen gibt es riesige Getreidefelder, kleine verschlafene Dörfer und nur gelegentlich ein kleines Schloß.

Mir erscheint meine Fahrt abwechselnd durch zwei verschiedene Welten zu verlaufen. In der einen Welt gibt es kaum Radfahrer, Radwege und Restaurants, statt dessen Landwirtschaft, LKWs, kleine billige Autos und schlechte Straßen. Eingebettet in diese Welt sind Inseln, in denen es keine Landwirtschaft und kaum LKWs, statt dessen viele Radfahrer, ordentliche Radwege, große teure Autos und Häuser gibt. Es ist nett in den Inseln unterwegs zu sein. Sich auf die Inseln zu beschränken, vermittelt aber ein unvollständiges Bild.

Don’t Drink and Drive

Die letzte Übernachtung stellt sich als einer der Glücksfälle heraus, die man nur erleben kann, wenn man Glücksfälle zulässt. Nach einem vergeblichen Versuch im einzigen Hotel eines kleinen Dorfes ein Zimmer zu bekommen, fahre ich 15km weiter bis Saint-Jean-Saint-German für den nächsten Versuch. Es ist spät und ich folge einer unscheinbaren Ausschilderung in den kleinen Ort. Tatsächlich finde ich am Ende des Ortes ein Gästehaus in einer schön gelegenen alten Wassermühle. Der sehr nette Wirt macht mir einen fairen Preis, gibt mir ein tolles Zimmer, einen Liter Milch fürs Abendbrot und am Morgen ein gutes Frühstück. Auch er wundert sich, daß ich sein Haus ohne “Booking.com” gefunden habe.
Für die Fahrt nach Blois lasse ich mir Zeit. Ich komme an Weingütern und an Champignon Kellern vorbei und überlege einen Moment, an einer Besichtigung eines Weinkellers mit anschließender Weinprobe teilzunehmen. Das Bedürfnis ist geweckt. Statt der sonst üblichen Cola / dem Eistee genehmige ich mir jeweils ein Glas Wein in den Pausen. Gut, daß ich nicht an einer Hauptstrasse neben schweren LKW fahren muß.
Ich leiste Abbitte bei FS, der mir vor zwei Jahren vorgeschlagen hatte mit ihm von Gifhorn durch Frankreich an den Atlantik zu fahren. Ich hatte mit der Begründung abgelehnt, daß mir das Radfahren in Frankreich keinen Spaß machen würde. Ich revidiere meine Meinung: Bei guter Auswahl der Strecken kann Radfahren in Frankreich sehr schön sein!

Morgen ist Ruhetag. Meine Beine brauchen Ruhe, Wäsche muss gewaschen werden, die Kette muß gespannt und die Strecke bis Köln geplant werden.

Französische Idylle

Aus dem gestrigen Tag habe ich gelernt, habe mir Blois statt Orleans als Ziel in zwei Tagen gesetzt und eine Streckenplanung abseits der stark befahrenen Hauptstrassen gemacht. Dazu kommt, daß das Wetter heute viel besser ist und ich viel ausgeruhter den Tag beginne. Die zusätzliche Energie und Zeit, die das Zelten kostet, habe ich unterschätzt.

Der Preis für die ruhigeren Strassen sind einige zusätzliche Höhenmeter. Eigentlich müssten sie in diesem Fall “Tiefenmeter” heißen. In die Landschaft in einer Höhe von ca. 120m sind einige Flusstäler eingeschnitten, für die ich zunächst 60-100m bergab und gleich wieder bergauf fahren muss.
Dafür fahre ich aber streckenweise auf fast autofreien Nebenstrassen auf rauhem Asphalt von einem Ort zum nächsten und gönne mir viele kleine Pausen.
So ähnlich stelle ich mir Frankreich zu Zeiten von Jacques Anquetil vor, als noch das unglaubliche Radrennen Bordeaux-Paris ausgetragen wurde.

Zuviele Fehler!

Wieder friere ich in der Nacht. Das Frühstück besteht aus trockenem Baguette, Haribos und Milch. Ich kann mir keinen Kaffee kochen, weil ich seit Sevilla noch keine passende Gaskartusche für meinen Kocher gefunden habe. Die Mitnahme von Gaskartuschen im Flugzeug war nicht erlaubt. Der Adapter für die in Spanien/Frankreich üblichen Kartuschen liegt in Gifhorn.
Ich muss das Zelt feucht zusammenpacken und schleppe mich danach müde und lustlos zur ersten Pause mit Kaffee und Sandwich.
In der Hoffnung auf einen guten Radweg / eine gute Streckenführung bin ich zu einem weiter östlich verlaufendem Jakobsweg gefahren, der mich in Richtung Orleans bringen sollte. Als ich den Weg erreiche muss ich feststellen, daß dieser “Weg” auch mit gutem Willen nicht mit dem Rad zu fahren ist. Nach ersten Versuchen dem Weg zu folgen stehe ich vor einer Wiese und die Entscheidung ist klar. Ich werde den Rest der Strecke auf der Hauptstrasse (D-950) fahren. Als dann Regen einsetzt, schwere LKW mit viel zu geringem Abstand und viel zu hoher Geschwindigkeit an mir vorbeifahren ist der Moment gekommen an dem ich mich heulend in den Strassengraben legen möchte. Nur weil ich keine passende Stelle dafür finde fahre ich weiter.
Keine Gaskartusche, zu leichter Schlafsack, nachlässige Streckenplanung, Haribos zum Frühstück – das sind zuviel Fehler. Im Moment sieht es so aus, als ob nicht das (Hinter-)rad sondern der Fahrer das größte Problem ist.