Es wird anstrengend

Die letzte Nacht im Zelt war wenig erholsam. Ich hatte das Zelt zwischen zwei Buhnen direkt am Elbufer in Nähe zum Boot aufgebaut. Bis spät in die Nacht herrschte rege Aktivität im Tierreich und den Geräuschen nach zu urteilen waren nicht nur massenweise Enten, Gänse oder anderes Kleingetier unterwegs.

Am Morgen sind ein paar Sonnenstrahlen zu sehen. Den Rest des Tages bleibt es bedeckt mit gelegentlichem Regen, niedrigen Temperaturen und einem zunehmend frischeren Gegenwind aus Nordwest. Bis Dömitz zeigte mein Navi die Lage der Fahrrinne auf dem breiten Fluss an. Das war insbesondere bei dem aktuell niedrigen Wasserstand sehr nützlich und ich konnte mich dadurch relativ einfach immer im Bereich der günstigsten Strömung halten. Ab Dömitz wird nur noch die Flussmitte dargestellt und in der Folge gerate ich einige Male in untiefe Bereiche. Bei Gegenwind auf der breiten Elbe über eine Sandbank mit nur 10-20cm Wassertiefe zu rutschen kostet Kraft und Geschwindigkeit.Die letzten Kilometer des Tages sind ohnehin die unangenehmsten Kilometer. Heute kommen gegen Ende noch Kälte, Gegenwind und unklare Streckenführung dazu. Zum Ausgleich für die letzten zwei Stunden Plackerei gibt es ein komfortables Zimmer in Hitzacker.

Ein Fluss für mich allein

Auf dem Campingplatz bei Bittkau übernachten auch einige Radwanderer, die den Elbe-Radweg befahren. Beim Essen in der Campingplatz Kneipe treffe ich auf fünf Einzelfahrer. Ich verfolge die gängige Diskussion über die Kosten der Unterkünfte, die Qualität deutscher Radwege, den nicht stattfindenden Ausbau der Radwege in den Städten und die Ausschilderung des Elberadwegs. Offenbar haben sich einige von ihnen in der Nähe von Magdeburg verfahren. Ich folgere, dass Radfahren in Deutschland keine interessante Option darstellt.
Das Rudern auf der Elbe ist dafür umso schöner. Wie gestern habe ich den Fluss wieder fast ganz für mich allein. Auf der bislang längsten Etappe treffe ich auf nur zwei Sportboote und einige Fähren.

Tangermünde bietet von der Elbe aus einen sehr eindrucksvollen Anblick – meine Erinnerung an Tangermünde aus Strassenperspektive war weniger günstig. Leider ist Havelberg vom Wasser aus (Niedrigwasser? Ruderboot?) nicht zu sehen. Hinter Havelberg wendet sich die Elbe in einigen Abschnitten in Richtung Westen. Der frische Westwind steht hier direkt gegen die Strömung und erzeugt kabbeliges sehr unruhiges Wasser. Die Unterstützung der Strömung beim Rudern wird durch den Wind zunichte gemacht. Die letzten Kilometer vor meinem Tagesziel kurz vor Wittenberge muss ich mir mühsam erarbeiten. Es ist unglaublich: mitten in diesem emsig wirtschaftenden und zersiedelten Land ist es möglich für viele Kilometer und viele Stunden allein mit Wasser, Wind, Landschaft, Himmel und Rückenschmerzen zu sein. Was will ich mehr?

Die Elbe ist erreicht

Der Zirkus des Schleusens von gestern Abend wird heute fortgesetzt. Um 9Uhr bin ich auf dem Wasser, melde mich beim Schiffshebewerk an und erfahre, dass das Schiffshebewerk an Montagen nichts hebt.
Dafür darf ich aber – als das nächste Binnenschiff talwärts schleust – mitschleusen. Bei dem aktuell niedrigen Wasserstand in der Elbe und im Magdeburger Hafen wird vermutlich die gesamte Hubhöhe von ca. 18m genutzt. Entsprechend lang(weilig) wird der gesamte Vorgang – insbesondere die Schwimmpoller nehmen dem Vorgang das letzte Stückchen Spannung. Vor der Tiefwasserschleuse zwischen dem Magdeburger Hafen und der Elbe warte ich nochmal eine Stunde und bin gegen Mittag endlich auf der Elbe.

Der Wasserstand der Elbe soll im Moment nur 54cm betragen, die Strömung ist mässig und unterstützt das Vorankommen mit 2-3km/h. Bald ist vom Lärm der A2 nichts mehr zu hören. Ausser einer Fähre und einem Paddelboot sehe ich auf den folgenden 40 Kilometern kein weiteres Schiff oder Boot. Ich gleite auf glattem Wasser mit ruhigen Schlägen und etwa 10km/h an der wilden – wenn auch nicht völlig unberührten – Uferlandschaft vorbei: so habe ich mir das Rudern auf der Elbe vorgestellt!

Bis zur Elbe und dann irgendwie weiter

Gestern habe ich es endlich geschafft und mich für eine kurze Ruderwanderfahrt wieder in mein Boot Novecento gesetzt.

Weil das Boot wg. häuslicher Renovierungsarbeiten vorübergehend in das Bootshaus des Ruder-Klub-Normannia am Mittellandkanal (MLK) ausquartiert war, wurde die Tour gleich dort am Steg begonnen. Von Braunschweig aus geht es in Richtung Osten. Bis zum Abzweig des Elbe-Seitenkanals (ESK) bin ich noch unschlüssig über die Strecke: ESK direkt bis Lauenburg und weiter in Richtung Lübeck – oder MLK bis Magdeburg und dann die Elbe irgendwie weiter? Trotz Bedenken wg. des Schleusens in Sülfeld (mit einem Einer gemeinsam mit den grossen Binnenschiffen in der Schleusenkammer ist eine Premiere für mich) melde ich mich zur Schleusung an und muss ca. 1 Std. warten bis endlich ein Binnenschiff kommt und ich mitschleusen darf. Mit Binnenschiffen ist das so: wenn man sie braucht kommen sie nicht, und wenn man sie überhaupt nicht brauchen kann, dann ist gleich eine ganze Armada da. Von Sülfeld aus geht es auf dem MLK an Fallersleben und Wolfsburg mit SE-Zentrum, VW-Hochhaus, VW-Kraftwerk, Bahnhof, Autostadt und Fussballstadion vorbei. Es ist für mich eine sehr besondere Perspektive: nicht nur einmal habe ich von der anderen Seite auf den Kanal geschaut und mir ausgemalt, wie es wohl wäre dort als freier Mensch entlang zu rudern.

Hinter Wolfsburg wird der MLK sehr ruhig und seeehr lang. Ich übernachte irgendwo in der Nähe von Mieste / Grauingen. Ein Teil meiner Ahnen muss sich mindestens im 19. Jhd. als Bauern von diesem Land ernährt haben können. In der heute sehnsüchtig erwarteten grossen Mittagspause bestelle ich mir auf Empfehlung der netten Hafenmeisterin des “Motorboot Club Haldensleben” bei einem Pizzaservice etwas zu Essen – zusammen mit einem Salat für die Hafenmeisterin erreichen wir den Mindestbestellwert für kostenlose Lieferung bis auf die Terrasse des Clubhauses. Hätte ich die grosse Mittagspause ausfallen lassen und wäre ich auch ohne Essen in der Lage gewesen zu rudern, dann hätte ich mich vor 16:30Uhr mit dem alten Schiffshebewerk in den Verbindungskanal zur Elbe heben lassen können und dann wäre ich jetzt schon an der Elbe… Weil ich aber erst um 17:15Uhr vor der Schleuse Rothensee neben dem alten Schiffshebewerk ankomme (wg. Mittagessen) und natürlich gerade kein Binnenschiff da ist, das runtergeschleust werden will (s.o.), beende ich den Rudertag vorzeitig und widme mich – diesmal sogar mit inoffizieller Empfehlung des Schleusenmeisters – dem “wilden” Zelten vor der Schleuse.

“Southern Cross”

Ich habe mir einen Oldtimer gekauft. Er heisst “Southern Cross” , ist ein Ruderboot der “Woodvale Pair”-Klasse und hat, bevor er ein Oldtimer wurde, den Indischen Ozean und den Atlantik befahren.

Heute hole ich das Schiff aus Prag ab, wo es die letzten Jahre vergeblich auf eine weitere Atlantikquerung gewartet hat. Nach ersten Erprobungsfahrten soll es im kommenden Winter restauriert werden. Das Fahrtenprogramm der “Southern Cross” sieht Fahrten in Nord- und Ostsee vor.

Links:

1. Beschreibung und Geschichte des Bootstyps

2. Video der neuen “Southern Cross” in 2009

3. Bericht der Querung des Indischen Ozeans

4. Video der Atlantikquerung der “Southern Cross” in 2015