Don’t Drink and Drive

Die letzte Übernachtung stellt sich als einer der Glücksfälle heraus, die man nur erleben kann, wenn man Glücksfälle zulässt. Nach einem vergeblichen Versuch im einzigen Hotel eines kleinen Dorfes ein Zimmer zu bekommen, fahre ich 15km weiter bis Saint-Jean-Saint-German für den nächsten Versuch. Es ist spät und ich folge einer unscheinbaren Ausschilderung in den kleinen Ort. Tatsächlich finde ich am Ende des Ortes ein Gästehaus in einer schön gelegenen alten Wassermühle. Der sehr nette Wirt macht mir einen fairen Preis, gibt mir ein tolles Zimmer, einen Liter Milch fürs Abendbrot und am Morgen ein gutes Frühstück. Auch er wundert sich, daß ich sein Haus ohne “Booking.com” gefunden habe.
Für die Fahrt nach Blois lasse ich mir Zeit. Ich komme an Weingütern und an Champignon Kellern vorbei und überlege einen Moment, an einer Besichtigung eines Weinkellers mit anschließender Weinprobe teilzunehmen. Das Bedürfnis ist geweckt. Statt der sonst üblichen Cola / dem Eistee genehmige ich mir jeweils ein Glas Wein in den Pausen. Gut, daß ich nicht an einer Hauptstrasse neben schweren LKW fahren muß.
Ich leiste Abbitte bei FS, der mir vor zwei Jahren vorgeschlagen hatte mit ihm von Gifhorn durch Frankreich an den Atlantik zu fahren. Ich hatte mit der Begründung abgelehnt, daß mir das Radfahren in Frankreich keinen Spaß machen würde. Ich revidiere meine Meinung: Bei guter Auswahl der Strecken kann Radfahren in Frankreich sehr schön sein!

Morgen ist Ruhetag. Meine Beine brauchen Ruhe, Wäsche muss gewaschen werden, die Kette muß gespannt und die Strecke bis Köln geplant werden.

Französische Idylle

Aus dem gestrigen Tag habe ich gelernt, habe mir Blois statt Orleans als Ziel in zwei Tagen gesetzt und eine Streckenplanung abseits der stark befahrenen Hauptstrassen gemacht. Dazu kommt, daß das Wetter heute viel besser ist und ich viel ausgeruhter den Tag beginne. Die zusätzliche Energie und Zeit, die das Zelten kostet, habe ich unterschätzt.

Der Preis für die ruhigeren Strassen sind einige zusätzliche Höhenmeter. Eigentlich müssten sie in diesem Fall “Tiefenmeter” heißen. In die Landschaft in einer Höhe von ca. 120m sind einige Flusstäler eingeschnitten, für die ich zunächst 60-100m bergab und gleich wieder bergauf fahren muss.
Dafür fahre ich aber streckenweise auf fast autofreien Nebenstrassen auf rauhem Asphalt von einem Ort zum nächsten und gönne mir viele kleine Pausen.
So ähnlich stelle ich mir Frankreich zu Zeiten von Jacques Anquetil vor, als noch das unglaubliche Radrennen Bordeaux-Paris ausgetragen wurde.

Zuviele Fehler!

Wieder friere ich in der Nacht. Das Frühstück besteht aus trockenem Baguette, Haribos und Milch. Ich kann mir keinen Kaffee kochen, weil ich seit Sevilla noch keine passende Gaskartusche für meinen Kocher gefunden habe. Die Mitnahme von Gaskartuschen im Flugzeug war nicht erlaubt. Der Adapter für die in Spanien/Frankreich üblichen Kartuschen liegt in Gifhorn.
Ich muss das Zelt feucht zusammenpacken und schleppe mich danach müde und lustlos zur ersten Pause mit Kaffee und Sandwich.
In der Hoffnung auf einen guten Radweg / eine gute Streckenführung bin ich zu einem weiter östlich verlaufendem Jakobsweg gefahren, der mich in Richtung Orleans bringen sollte. Als ich den Weg erreiche muss ich feststellen, daß dieser “Weg” auch mit gutem Willen nicht mit dem Rad zu fahren ist. Nach ersten Versuchen dem Weg zu folgen stehe ich vor einer Wiese und die Entscheidung ist klar. Ich werde den Rest der Strecke auf der Hauptstrasse (D-950) fahren. Als dann Regen einsetzt, schwere LKW mit viel zu geringem Abstand und viel zu hoher Geschwindigkeit an mir vorbeifahren ist der Moment gekommen an dem ich mich heulend in den Strassengraben legen möchte. Nur weil ich keine passende Stelle dafür finde fahre ich weiter.
Keine Gaskartusche, zu leichter Schlafsack, nachlässige Streckenplanung, Haribos zum Frühstück – das sind zuviel Fehler. Im Moment sieht es so aus, als ob nicht das (Hinter-)rad sondern der Fahrer das größte Problem ist.

Abschied vom Atlantik

Einerseits war die Nacht im Zelt kälter als erwartet. Andererseits erinnere ich mich wieder daran, daß Zelten auch entspannter sein kann als Übernachtungen im Hotel.

Vormittags fahre ich in der Nähe der Sanddünen die letzten Kilometer bis zur Fähre hinüber nach Royan. Es kommen mir viele Radwanderer entgegen. Viele mit grossem Gepäck, einige sogar mit Anhänger. Dieser Abschnitt ist schön und zu Recht eine Standardstrecke der Radwanderer.

Als ich in Le Verdon am Fährhafen ankomme legt die Fähre in Richtung Royan gerade ab. Ich freue mich über die verlängerte Pause und nehme das als Beleg dafür, daß ich wieder zurück in den Reise-Modus gefunden habe.
In Royan verabschiede ich mich erstmal vom Atlantik.

Nachdem ich die Umgebung der Stadt verlassen habe fahre ich auf kleinen Strassen zwischen Getreidefeldern ins Landesinnere. Es kommt mir vor wie im Sommer in der Krummhörn.

Ich wehre mich innerlich gegen das Vergleichen gemäß “sieht aus wie…” und kann es doch nicht lassen. Der Antrieb Muster, Wiederholungen oder Strukturen zu entdecken ist zu groß. Irgendwie will ich mir die komplexe Welt etwas übersichtlicher machen, manchmal hat eine solche Reduktion Vorteile.

Der Campingplatz heute gehört zur günstigeren Campingplatzkategorie. Ausser mir übernachtet noch eine Gruppe Monteure in einer der Hütten. Dafür ist das Essen gut, reichhaltig und günstig und die (Küchen-, Kneipen-, Camping-) Chefin nett und chaotisch.

Premiere für das neue Zelt

Während des Vormittags wechselt es zwischen Nieselregen und Starkregen bis ich vollständig durchgeweicht bin. Gegen Mittag endet der Regen, ich wringe Jacke und Handschuhe aus, kippe das Wasser aus den Schuhen und esse ein Sandwich bevor ich weiterfahre. Es ist erstaunlich, wie lange der Körper die Wärme bei Aktivität halten kann.

Der “La Velodyssee” verläuft auf einer alten Bahntrasse mit mehrere Kilometer langen Geraden. Nur besonders einfache Gemüter und Ostfriesen finden das Fahren darauf nicht eintönig. Ich bin kein gebürtiger Ostfriese, finde das Fahren erträglich und sage mir in Momenten der Anfechtung “keep rolling”
Der Wetterbericht behauptet, dass es in der Nacht trocken bleiben soll. Der Moment ist gekommen, dass ich mein neues leichtes Zelt (1.2kg) ausprobiere. Auf dem Campingplatz sind einige Radfahrer und wenige der unvermeidlichen deutschen Wohnmobile. Für die schwäbischen Motorradfahrer mit Helmkamera hat die Saison noch nicht begonnen.