Kystriksveien

Seit zwei Tagen überlege ich einen Ruhetag einzulegen. Ideal wäre ein Regentag und ein Campingplatz mit guter Wasch- und Einkaufsmöglichkeit. Heute habe ich Glück: seit Mittag regnet es ununterbrochen und am Abend bekomme ich eine relativ komfortable Hütte mit allem was ich brauche. Die Wetterprognosen sagen für morgen weiter stärkeren Regen voraus.

Wieder verändert sich das Landschaftsbild. Vormittags fahre ich durch grüne Bergtäler und Wälder und am Abend durch karge Felslandschaften umgeben von Seen und Meer. Ich fahre jetzt auf der Küstenstrasse (Kystriksveien), der ich zunächst bis Bodø folgen möchte.

Die meiste Zeit kurbel ich mich in kleinen Gängen die Steigungen hinauf. Wenn es dann mal etwas schneller bergab gehen könnte werde ich daran erinnert, daß bei den nassen Strassen und dem schweren Rad im Zweifel immer ich das größere Problem hätte.

Das Wetter passt zur rauhen und ursprünglichen Landschaft. Das Land, die Felsen sind von allen Seiten von Wasser umgeben – von den Binnenseen, den Flüssen, dem Meer und eben auch vom Regen und den mächtigen Wolken.

 

Nie wieder E6!

Leider geht es noch einige Male auf die E6,  denn Umfahrungen sind nicht überall möglich. Als endlich die Landstrasse 17 erreicht ist, läßt der Verkehr nach und ich habe Strasse und Landschaft wieder die meiste Zeit für mich. Jetzt macht das Radfahren wieder Spaß, besonders an den Küstenabschnitten.

Heute kommt mir ein Radreisender entgegen, in den letzten Tage waren es immer mal einer oder zwei gewesen. Nur einmal kam mir eine Gruppe von vier Herren mit vollbepackten Rädern entgegen, die meisten fahren Solo. Man grüßt sich und fährt weiter. Einer von beiden rollt gerade den Berg herunter und der andere quält sich rauf. Kann man irgendetwas Sinnvolles aus der Anzahl der Radreisenden schliessen, die einem entgegenkommen?

Ich mache mir Gedanken über die Vorliebe der Norweger für teure und grosse Autos. Für mein Empfinden fahren hier viele E-Autos, viele Autos aus dem “C-Segment” (Audi A6…) und viele alte Ami-Schlitten mit beeindruckendem 8-Zylinder Sound herum. Ich vermute den Grund für diese Vorlieben schlicht in den finanziellen Möglichkeiten sich diese exclusiven Fahrzeuge leisten zu können. Nicht immer passen die grossen Autos aber in die Garagen, die wahrscheinlich noch für die Autos von Volvo und Saab ausgelegt worden waren.

 

Weiter in Richtung Norden

Ich fahre weiter in Richtung Norden und lege keinen Zwischenstop in Trondheim ein. Zu dieser Entscheidung gehört auch, den Weg nicht über den Flakkfjorden in Richtung Rissa zu nehmen sondern über die Orte Stjördal und Steinkjer. Nicht bewusst ist mir, daß dieser Weg fast zwangsläufig bedeutet, daß ich die berüchtigte “E6” fahren werde.

Die “E6” in dieser Gegend mit dem Rad zu befahren ist etwa so wie auf der Autobahn A2 mit dem Rad zu fahren – bloß ohne Standstreifen. Mit Helm, meinem Warn-Bolero, viel Konzentration und Adrenalin habe ich das Abenteuer überlebt als sich kurz vor Levanger Regen ankündigt.

Im Zentrum von Levanger finden im Rahmen der Norwegischen Rad Meisterschaften die Kriterium Rennen statt (d.h. ein Kurs in der Stadt mit vielen Kurven wird 10-20 gefahren). Als der kräftige Regen beginnt habe ich einen trockenen Platz von dem aus ich das Frauen Rennen verfolgen kann.

Es gibt einen Start-Ziel Sieg, spannend ist nur der Kampf um den zweiten und dritten Platz. Meine Favoritin ist die “Startnummer 216”. Sie macht im Feld die ganze Zeit die Führungsarbeit und kommt dafür später als Letzte der Verfolgertruppe ins Ziel.

Überfluss

Hier wird nicht übers Essen und andere Alltäglichkeiten berichtet, das Frühstück in Röros ist aber eine Ausnahme wert. Ich wurde regelrecht verwöhnt, habe zum ersten Mal Norwegischen “Braunen Käse” gegessen und Rentier Salami, habe die Geschichte des “Solheim Pensjonat” erfahren und zum Schluss noch Käsebrote für die Fahrt mitbekommen. Nach fast zwei Wochen “Notfrühstück” war das sehr angenehm.

Heute verlasse ich die Höhen von 600m – 900m mit der schönsten und eindrucksvollsten Strecke der bisherigen Reise. Es gab von allem (Berge, Pflanzen, Seen, Bäche, Blumen, Schnee(!), Weite, Farben) in unfassbarem Überfluss. Die kleinen Photos können diesen Überfluss nicht fassen und werden im Abstand wie “Landschaftskitsch aus dem Werbeprospekt” aussehen. Dafür gibt es dann nur eine Lösung: Photos löschen und nochmal hinfahren.

Kurz vor Trondheim stellt sich jetzt die Frage nach dem weiteren Verlauf der Reise. In ca. 10km kommt eine Abzweigung an der ich mich zwischen Trondheim und Stjördal entscheiden muss und damit auch eine Entscheidung über die Strecke der nächsten Tage treffe. Wahrscheinlich treffe ich die Entscheidung direkt an der Abzweigung. Ist das dann Zufall oder freier Wille oder ein unbewusster Denkvorgang? Wir werden es sehen.

FÆMUND II

Wenn mich heute jemand fragen würde was ich werde wolle wenn ich mal groß bin, dann wäre die Antwort klar: Kapitän auf der M/S FÆMUND II, einem Schiff von 1905 das auf dem Femund See im Linienbetrieb fährt. (bisher war ich unentschlossen zwischen “Schleusenwärter in Wiesens” und “Fahrradverleiher auf Borkum”) Allerdings hat die M/S FÆMUND II erst in diesem Jahr einen neuen Kapitän bekommen (Odd Kjøsnes, 27 Jahre) und so werde ich wohl den wunderschönen Femund See mit meinem Boot NOVECENTO befahren müssen.

Im alten Bergwerksort Röros – das Clausthal-Zellerfeld Norwegens – werden erst ab kommendem Wochenende mehr Touristen erwartet. Dafür bekomme ich einen Spezialtarif in dem nostalgisch kultigen “Solheim Pensjonat”.

Daß heute der längste Tag ist spielt hier – anders als in Schweden – keine besondere Rolle.