Doch wieder E6

Die Windverhältnisse zwischen den Bergen und den Fjorden sind unübersichtlich. Es ist nicht offensichtlich wie sich der Wind in der Höhe in den Tälern bemerkbar macht. Angekündigt ist Wind aus Süd und auf dem ersten Abschnitt (Nord-Ost) habe ich angenehmen Rückenwind. Dafür habe ich auf dem Abschnitt in Richtung Alta (Süd) den erwarteten kräftigen Gegenwind.

Das Fahren an den großen Fjorden hat eine Besonderheit: Ich kann heute schon die Berge und Geländestrukturen sehen die ich morgen befahren werde und ich sehe unter Umständen noch nach einem Tag die Berge von der gestrigen Fahrt.

Seit zwei Tagen bin ich wieder auf der E6 unterwegs. Meine Erfahrungen mit dieser vielbefahrenen Straße ca. 1000km südlich waren sehr schlecht (“Nie wieder E6”) aber ich war erleichtert, daß hier im Norden der Verkehr doch deutlich abgenommen hatte. Bis heute: Vermutlich weil das Wochenende vorbei ist sind jetzt auch wieder schwere LKW unterwegs und vor Alta nimmt der Verkehr insgesamt deutlich zu. In einem der Tunnel (erlaubt für Radfahrer!) fahre ich auf einem ca. 1m breiten Seitenpodest zwischen Tunnelwand und Fahrbahn. Es geht in dem Tunnel deutlich bergauf und ich fahre entsprechend langsam. Ich hatte die Norweger bisher als rücksichtsvolle Autofahrer erlebt – aber diese Fahrt ist der Horror. Die schweren LKW mit Anhänger fahren – vermutlich am Begrenzerlimit – mit 1-1.5m Abstand an mir vorbei. Zwischendurch gibt es kleine Vorsprünge in der Tunnelwand. Mit den Packtaschen habe ich vielleicht eine Toleranzbreite von 40cm die ich auch bei Druckwellen der LKW nicht verlassen darf. Als ich merke, daß sich die Lenkergriffe rutschig anfühlen – Angstschweiß – halte ich vorsichtig an und fahre erst weiter als kein LKW mehr zu sehen ist.

Vor welchen motorisierten Zeitgenossen fürchte ich mich am meisten bei diesem “Krieg der Strasse”? 1. Schwere LKW mit Anhänger, 2. PKW mit Anhängern die breiter als das Zugfahrzeug sind und deren Fahrer selten mit Anhänger (Wohnwagen) fahren,  3. Reisebusse,  deren Fahrer schon 1000km gefahren sind, denen die Leute im Bus schon seit drei Stunden auf die Nerven gehen und die schnell ihr Tagesziel erreichen wollen.

Der letzte Tunnel vor Alta ist für Radfahrer gesperrt. Der Umweg ist erheblich und bedeutet etliche zusätzliche Höhenmeter. Dennoch bin ich froh diese ruhige und sehr schöne Strecke zu fahren. Es war wieder das alt bekannte Dilemma zwischen “Strecke machen” und “Geniessen”.

Sommerlich warm

Heute ist nicht nur der Himmel blau sondern es ist auch sommerlich warm. Vor 7 Uhr bin ich auf der Straße – der Radführer hat eine anstrengende Strecke angekündigt. Die Strasse ist völlig leer und ich sehe zwei Elche mitten auf der Strasse stehen und in den Fjord (oder sonstwohin) blicken.

Mal wieder habe ich versäumt mich rechtzeitig vor dem Sonntag mit Proviant einzudecken. Nach etwa 20km fahre ich an einem “Reisebus-Hotel” vorbei. Eine niederländische Reisegruppe  hat das Frühstück beendet und bereitet sich auf die Weiterfahrt vor. Traurig aussehende Senioren sitzen mit Koffern in der Lobby. Ich nutze die Gelegenheit und fräse mich einmal hemmungslos durch das Frühstücksbuffet um die Speicher für den Tag zu füllen. Alles was die Senioren beim Frühstück nicht durften – ich darf es. Unbeantwortet bleibt die Frage, warum die Busreisenden so traurig aussahen. Weil sie sich beim Frühstück so eingeschränken mussten oder weil sie sich jetzt wieder einen Tag durchschaukeln lassen müssen? Vielleicht mußten sie sich auch wegen des bevorstehenden Durchschaukelns beim Frühstück einschränken und waren deshalb doppelt traurig?

Bisher hatte ich einzelne Rentiere gesehen. Heute sehe ich an einem “Pass” auf ca. 400m Höhe zum ersten Mal eine große Rentierherde auf den noch verbliebenen Schneeflächen. So anstrengend die Strecke heute ist, so spektakulär sind einige Ansichten dieser schönen Landschaft.

Während ich langsam die vielen Steigungen hochkurbel arbeite ich weiter an meinen Vorurteilen und versuche sie zu bestätigen. Eines lautet: “Deutsche Wohnmobile werden nur von Männern gefahren. Die Beifahrer sind immer Frauen”. Diese Behauptung ist fast richtig, sie gilt nicht für VW-Busse (zwei Ausnahmen) und nicht bei Wohnmobilen aus Nordfriesland und/oder Paaren aus der Alternativen Szene (eine Ausnahme). Ich habe darüber nachgedacht das gleiche Vorurteil auf Motorradfahrer auszuweiten – leider ist meine Fähigkeit der Geschlechtsbestimmung von vorbeifahrenden Motorradfahrern sehr ungenau. Ein weiteres Vorurteil lautet: “Harley Fahrer haben niemals eine Helmkamera. Helmkameras werden nur von Motorradfahrern mit Enduro Maschinen verwendet.” Hier läuft die Untersuchung noch.

Norwegen – eine einzige Outdoor Sportarena

Endlich gibt es mal wieder blauen Himmel! Damit sieht Tromsø vor dem Hintergrund der Berge und des Wassers noch schöner aus. Das Radfahren macht wieder Spaß, besonders als es auf der ruhigen “91” zwischen schneebedeckten Bergen in Richtung Lyngen geht. Das ständige auf und ab ist heute erträglich.

Zwischen den zwei Fähren fahre ich gemeinsam mit einem Deutsch-Norweger, der vor 18 Jahren aus Segeberg nach Tromsø umgesiedelt ist. Das sinnvolle Tempo zwischen den Fähren wird von den Ankunfts- / Abfahrtszeiten der Schiffe vorgegeben und liegt nur wenig über meinem normalen Reisetempo. Er macht mit dem Rennrad eine Tagestour und ich erfahre Einiges über die vielen Outdoor Aktivitäten denen er und die Menschen aus Tromsø hier nachgehen. Darunter natürlich Bergsteigen, Skilaufen und  Mountainbiking.

In einem Artikel lese ich, daß ganz Norwegen eine einzige Outdoor-Sport Arena sei. Den Eindruck kann man tatsächlich bekommen.

Lustlos nach Tromsø

Trotz des gestrigen Ruhetags habe ich keine Lust zum Radfahren. Das Frühstück dehne ich soweit wie möglich aus, belade dann das Rad und mach mich träge auf den Weg. Erst nach der ersten Pause wird die Stimmung besser und ich fahre lockerer das kurze verbleibende Stück bis Tromsø.

“Merkel sieht schwarz für deutsche Autoindustrie” steht bei SPIEGEL-online. Seit 25 Jahren bin ich Teil dieser Veranstaltung – und nüchterne Beobachtung im eigenen Unternehmen scheint ihr Recht zu geben. Ein erkennbar nicht mehr funktionierendes Geschäftsmodell in dieser Größenordnung abzuwickeln wird schmerzen.

Tromsø ist die erste größere Stadt in Norwegen, die ich mir etwas näher ansehe. Ich stehe mit dem Rad an der Ampel und werde von einer Fußgängerin angesprochen: “Woher kommen Sie denn aus Niedersachsen?” (Auf meiner Packtasche ist das Niedersachsen Wappen als leicht verschlüsseltes Herkunftszeichen angebracht.) “Wir sind auf einer Aida-Kreuzfahrt”. Die Stadt ist voller Kreuzfahrt Touristen. Restaurants, Bars oder Cafe’s waren unterwegs sehr selten – hier gibt es sie reichlich. Die Atmosphäre ist angenehm entspannt.

In der (hölzernen) Domkirche höre ich ein kleines Orgelspiel. Kirche und Musik wirken zusammen und sind mit Worten nicht zu beschreiben. Mir wird klar warum ich unterwegs keine Musik mit Kopfhörern gehört habe – es ist einfach nicht überzeugend. Die Kopfhörer sind überflüssiges Gewicht.

 

Gemütlich

Das Hotel ist komfortabel, ruhig und mit sehr freundlichem Service. Nachdem geklärt ist, daß ich die Waschmaschine im Haus nutzen kann verlängere ich meinem Aufenthalt und lege einen richtig gemütlichen Ruhetag ein.

Beim ausgiebigen Frühstück treffe ich drei Radfahrer wieder, die ich bereits vor vier Tagen das erste Mal gesehen habe. Sie sind eher sportlich mit Rennrädern, kleinem Gepäck und kurzen(!) Hosen unterwegs und geben sich beim Fahren gegenseitig Windschatten. Wenn sie an mir vorbeifahren sind sie deutlich schneller. Durch meinen Ruhetag haben sie jetzt auch “Vorsprung” auf dem Weg in Richtung Norden.

Ich sitze mittags auf der Terrasse als vier große Reisebusse mit Teilnehmern einer Kreuzfahrt von Tromsø kommend eintreffen. Jetzt wird Deutsch gesprochen. Nach etwa zwei Stunden ist die Speisung und der Spuk beendet und es kehrt wieder Ruhe ein. Es ist hier wohl doch nicht der absolute Geheimtip – schön ist es trotzdem.

Die nördlichste Karte wird präpariert. Von hier aus gibt es kaum noch Streckenoptionen bis zum Nordkapp. Ich rechne die verbleibenden Kilometer zusammen, lese Fahrtenberichte zu diesem Streckenabschnitt und hadere. Einerseits reizt es mich das “Nordkapp” in etwa einer Woche erreichen zu können. Andererseits stört mich der Gedanke an das näher kommende Ende der Tour und die Touristenmassen dort. Die Vorstellung, daß ich mich nach 3000km Radfahren mit schwäbischen Motorrad- und Wohnmobilsenioren um den besten Platz vor dem “Globus” rangeln soll, gefällt mir nicht. Hoffentlich fällt mir noch ein besserer Abschluss meiner Fahrt in den Norden ein