Gegensätze

Morgens fahre ich mit der Fähre über die Westerschelde (Vlissingen – Breskens), abends über den Ärmelkanal (Calais-Dover). Dazwischen liegt eine an Gegensätzen reiche Strecke.

Der Niederländische Abschnitt führt mich auf einem wunderschönen Panoramaweg durch Dünenlandschaften entlang der Küste. Ich bin völlig begeistert und geniesse.

Der Belgische Abschnitt durch Flandern führt mich haupsächlich an Kanälen entlang. Die für Belgien charakteristischen Wohnsilos an der Küste sind in der Entfernung zu sehen. Das leichte Fahren auf den immer noch vorhandenen Radwegen macht meistens Spass.

Der Französische Abschnitt über Dünkirchen ist grauenhaft. Es existiert praktisch keine Radwege Infrastruktur. Die Autofahrer sind rücksichtslos. Ich setze meinen neongelben Radfahrhelm auf und versuche diesen Abschnitt zu überleben und so schnell wie möglich hinter mich zu bringen.

Calais ist schliesslich der Tiefpunkt des Tages: in der Zufahrt zum Fähranleger fahre ich etliche Kilometer an hohen Zäunen mit Stacheldrahtkronen vorbei. Auf den Strassen sind Gruppen junger dunkelhäutiger Männer. Ich fühle mich unsicher und bemühe mich schnell auf die Fähre nach Dover zu gelangen.

Ich bin überrascht, dass ich an nur einem einzigen Tag so unterschiedliche Landschaften, mit so unterschiedlichen Strukturen und vermutlich auch so unterschiedlichen menschlichen Charakteren durchfahren konnte. Jetzt bin ich auf England gespannt!

Lang lebe der König

Mein Tag beginnt mit einer Enttäuschung. Von dem “Bed&Breakfast” entfällt das “Breakfast”. “Aus betrieblichen Gründen” würde die Deutsche Bahn wohl zur umfassenden Erklärung hinzufügen.

Morgens in Delft sind die Radautobahnen voll mit dynamischen und sehr schnell radfahrenden Menschen mit Laptop-Köfferchen. Ich fahre an der TU-Delft vorbei und muss dabei an ideologisch durchtränkte Studien aus dieser Einrichtung denken.

Maassluis erinnert mich an die Romane von Maarten’t Hart und insbesondere seine Schilderungen der protestantischen Auseinandersetzungen in den Niederlanden.

Einige kleine Orte sind mit Wimpeln und Transparenten geschmückt. Auf einem Transparent steht “Lang Leve de Koning”. Am 27. April wird der Niederländische König Willem-Alexander 51 Jahre alt, die Vorbereitungen laufen.

In Vlissingen übernachte ich im Hotel “De Belgische Loodsensocieteit”, das seinen Namen zu Recht trägt. Es liegen einige Lotsenboote in der Nähe im Hafen und ich sehe Männer mit Schwimmwesten und Funkgeräten von ihrer Arbeit kommen.

für die Jahreszeit zu warm

Am Morgen sind die Sonnenstrahlen schon so kräftig, dass ich das Zelt gegen 9Uhr trocken zusammenlegen kann. In Anbetracht des Standorts direkt an der Ijssel und der Jahreszeit ist das bemerkenswert.

Das Radfahren bei leichtem Ostwind und den guten Radwegen ist sehr angenehm, bessere Bedingungen kann ich mir kaum vorstellen. In der Mittagszeit fahre ich vorbei an prächtigen Häusern mit grossen blühenden Bäumen in den Vorgärten durch das Universitätsstädtchen Wageningen. Es ist eine fast irreale Idylle.

Ich sehe etliche “Bakfietsen” – ein Fahrradtyp, für den ich mich interessiere, seit mein Enkel im Bakfietsenalter ist. Meistens wird hier junges Gemüse darin transportiert und seltener Blumen.

Hinter Utrecht (und vor Den Haag) verändert sich wieder das Landschafts- und Siedlungsbild, das durch die Entwässerungskanäle und die grossen Gärtnereien geprägt wird. Ich muss an die Geschichte der Ente “Alfred Jodokus Kwak” aus “Grosswasserland” denken.

Niederlande

Gestern habe ich in Münster einen ersten Ruhetag eingelegt. Heute geht es dafür nach einem gemeinsamen Frühstück mit Thekla relativ zeitig aufs Rad in Richtung Niederlande.

Ursprünglich wollte ich ab Münster den Radfernweg R1 befahren. Das Fahren nach der Empfehlung des Navis auf den Landstrassen ist aber hier im Münsterland und später auch in den Niederlanden für mich in Ordnung und deutlich kürzer als die verschlungenen Seitenstrecken des R1. Die Landstrassen haben fast durchgängig gute Radwege und sind nicht zu stark befahren.

Die Fahrt durchs Münsterland bedient alle meine Klischees (Pferde, liebliche Landschaft, herrschaftliche Gutshöfe, Klöster, Priester, Nonnen, Glockengeläut…) – und ich freue mich darüber.

Hinter der Grenze zu den Niederlañden geht es unverändert weiter (mit der Bedienung meiner Klischees): tolle Radwege und Strassen, riesengrosse Höfe, Gazelle Fahrräder, keine Gardinen in den Fenstern, gepflegt Gärten, Pindakaas etc. – auch darüber freue ich mich.

Jetzt bin ich gespannt auf den Moment, an dem

a) mein Vorrat an Klischees aufgebraucht ist

b) neue Klischees gebildet werden

c) bestehende Klischees revidiert werden müssen

Nach etwas Überwindung verbringe ich die erste Nacht im Zelt. Das Wetter ist gut, es ist wenig Betrieb, der Campingplatz ist recht gepflegt und er liegt direkt an der Ijssel. Jetzt, wo alles aufgebaut und an seinem Platz ist, fühlt sich Zelten auch wieder gut an.

Münster

Die Strecke bis Münster ist kurz und überwiegend schön. Bei schönem Frühlingswetter fahre ich auf idyllischen Radwegen, teilweise aber auch direkt an der stark befahrenen Bundesstrasse über Warendorf und Telgte nach Münster.

Die Fahrt lässt die “Edemissen-Peine-Sehnde-Pattensen-Ödnis” vom ersten Tag vergessen und weckt Vorfreude auf die Niederlande.

Die Strassencafes in Münster sind voll besetzt, es gibt – wie derzeit in allen grösseren deutschen Universitätsstädten – interessante alte Rennräder der 80er und 90er Jahre, orginelle Lastenräder und gewöhnliche Hollandräder zu sehen. Dabei entdecke ich das Imitat eines GIOS-Rennrades.

Zum Abschluss des Tages bekommen meine Frau, die “kleine” Tochter und ich ein Paneer Tikka Masala.