Seevögel und ein Seehund

Gestern bin ich in Lerwick durch die Strassen gegangen, habe die kleinen Läden erkundet und es mir sonst gut gehen lassen.

Eigentlich hätte ich am Sonntag nach Kirkwall weiterfahren wollen, muss dann aber feststellen, dass die Fähre nach Kirkwall erst am Montag wieder fahren wird, mir damit drei Tage bleiben um zur Südspitze und zurück nach Lerwick zu fahren. Das kommt davon, wenn man sich nicht rechtzeitig um Abfahrtzeiten von Fähren kümmert.

Bevor ich mich dem Gegenwind aussetze, mache ich einen Schlenker zum Hafen in Lerwick. Ein Seehund liegt dort mitten in der Stadt auf einer Betonrampe und lässt sich von Touristen mit Kameras nicht im geringsten stören.

Die Fahrt nach Sumburgh ist kurz und hügelig und ich erreiche das “Betty Mouat’s Böd” am frühen Nachmittag. Zur gleichen Zeit kommt auch ein Niederländisches älteres Paar an. Die Beiden sind heute morgen in Lewrick mit ihren Elektrorädern vor mir losgefahren. Sie sind mit ihrer Tour in Newcastle gestartet, nutzen je zwei Akkupacks pro Tag zur Unterstützung beim Fahren und unternehmen regelmässig grössere Radreisen.

Den weiteren Nachmittag verbringe ich beim Leuchtturm “Sumburgh Head” mit grossartiger Aussicht auf Meer und Klippen. Ohne Erfolg halte ich Ausschau nach Walen, die man hier häufiger beobachten können soll.

Statt der Wale beobachte ich Seevögel. Nachdem mir ein Vogelkundiger mit einem Bestimmungsbuch etwas Unterstützung gibt, kann ich auch einige der Vögel benennen.

Die Souvenirläden sind voll mit “Puffins made in Indonesia”. Jetzt sehe ich endlich auch einige Papageitaucher (Puffins) im Original.

Besonders gefallen mir aber die grossen Mantelmöwen (Great Black-backed Gulls) mit schwarzen Flügeloberseiten und die ähnlich grossen Basstölpel (Gannets) mit den schwarzen Flügelspitzen. Ich sehe eine Dreierformation Basstölpel, die im Gleitflug weit hinausfliegen um sich dann vom Wind wieder in Richtung der Klippen zu den Aufwindzonen treiben lassen. Ein beeindruckendes Schauspiel.

Kräftiger Wind aus Süd

Der Radfahrkollege im Hostel empfiehlt mir in Voe zu übernachten und nicht die 80km bis Lerwick an einem Tag zu fahren. Bedenke ich den zu erwartenden kräftigen Gegenwind, dann ist der Vorschlag nicht so abwegig.

Das Radfahren gegen den Wind, der ungehindert über das baumlose Land bläst, und über die vielen Anstiege auf der bereits bekannten Strecke bis Lerwick ist so mühsam wie befürchtet. Da hilft nur Geduld, Kopf runter und kleine Übersetzung. Vor Lerwick kommt noch starker Verkehr auf der Hauptstrasse hinzu. Das einzig Gute, was sich zu dieser Fahrerei sagen lässt ist, dass es nicht regnet.

Zum Lohn bekomme ich im 5-Sterne Hostel in Lerwick ein sehr angenehmes Zimmer. Nach vier Wochen ziehe ich Bilanz: 23Tage auf dem Rad; 2300km mit 18000 Höhenmetern zurückgelegt; die Strecke bis Aberdeen teilweise interessant aber überwiegend frustrierend; dafür überwiegend schöne Erlebnisse auf den Shetlands.

Der nördlichste Punkt der Reise

Bevor ich bis zum nördlichsten Punkt der Reise, dem kleinen Strand bei der Siedlung Norwik fahre, besuche ich das Boots-Museum “Unst Boat Haven” in Haroldswick. Ein älterer, sehr freundlicher Herr erläutert mir Bauweise und Ursprung der Shetland Boote und die Verwandtschaft zu den Norwegischen Faerings.

Die Boote wurden gerudert, gesegelt und später mit kleinen Aussenbordmotoren (1-2PS) gefahren. Sowohl Ruderregatten wie auch Segelregatten wurden damit ausgetragen. Es gibt Ausstellungsstücke und Bücher, die abenteuerliche Fahrten mit diesen Booten über die Nordsee und die Ozeane belegen.

Der freundliche Herr erzählt weiter von der jüngeren Geschichte der Insel Unst und ich verstehe, warum es so viele verfallene Hausruinen in der Landschaft gibt. In den besten Zeiten, als Fischerei und Landwirtschaft ein bescheidenes aber akzeptables Leben ermöglichten, lebten hier bis zu 3000 Menschen. Heute leben noch 600 Menschen dauerhaft auf der Insel.

Das Radfahren entspricht einem guten Vatertags Ausflug. Zurück im Hostel in Uyeasound treffe ich seit längerer Zeit wieder auf einen Radreisenden. Für Unterhaltung ist gesorgt.

Auf dem Weg nach Unst

Auf dem Shetland-Mainland fahre ich heute in Richtung Norden, mit der Fähre auf die Insel Yell und von dort weiter auf die Insel Unst. Unst ist die nördlichste bewohnte Insel der Shetland Inselgruppe.

Das Radfahren ist einfach schön. Ich habe Glück mit Wetter und Wind. Die Strassen sind in gutem Zustand und es gibt nur wenig Verkehr. Ich sehe heute keinen einzigen anderen Radfahrer, dafür grüssen mich jetzt sogar entgegenkommende Autofahrer. Alle fahren sehr rücksichtsvoll.

Vereinzelt wird in kleinen begrenzten Bereichen – vermutlich nur für den persönlichen Bedarf – Torf gestochen. Die beindruckend weiträumige, karge und amphibische Landschaft wirkt wie ein Miniatur Norwegen.

Die gut fahrbaren Anstiege (< 9%) gehen selten über 100 Meter Höhe hinaus – summieren sich aber trotzdem zu vielen Höhenmetern. Dabei bewährt sich die gegenüber dem letzten Jahr geänderte Grundübersetzung meines Rades: ich nutze jetzt regelmässig auf den Anstiegen und Abfahrten (bis 45km/h) die volle Bandbreite der 14 Gänge der Rohloffnabe.

Interessant sind die vielen verlassenen und verfallenen Häuser und Höfe. Die Ruinen zeigen die Kamine oder Feuerstellen als die wichtigsten und robustesten Bestandteile der Häuser.

Ich vertue den Tag

Gestern Abend sitze ich zusammen mit zwei Mitbewohnern vor dem kleinen Firefox Ofen, ein Studentenpaar (Jura) aus Glasgow und Italien. Wir reden unter anderem über den Brexit und der junge Mann bekennt sich als “ideologischer EU-Befürworter”. Die EU solle sich möglichst schnell – ohne England/Wales – weiter integrieren. Diejenigen, die für “Leave” gestimmt hätten, seien die Armen und Dummen. Mir erscheint die unkritische EU-Euphorie der weltoffenen und gebildeten Menschen im Moment wenig nützlich zu sein um das Dilemma aufzulösen. Vielleicht war diese Euphorie – verbunden mit Arroganz – sogar eine der Ursachen der Spaltung. Und vielleicht haben es Menschen wie Juncker oder der unsägliche Herr Schulz auch einfach zu weit getrieben und lassen uns jetzt ungläubig vor dem Scherbenhaufen stehen.

Den Tag vertue ich mit Spazierengehen, Essen, Musikhören und Lesen – in wechselnder Reihenfolge.

Am Nachmittag kommt ein Mann in das Böd und repariert Feuermelder und Anderes. Ich bin im Moment der einzige Bewohner und nachdem alles gerichtet ist, kommt er in meinen Raum – ich höre Musik – und erstattet Bericht was gemacht wurde und was noch zu tun sein wird. Mir fällt dazu nur ein Begriff ein: “Werkstolz”. Diese Erfahrung ist nicht neu aber selten.