Ein Gedicht

Radreisegedicht

Fahre, schlafe,
iss etwas,
so erfährst Du, so verschläfst Du,
so verdaust Du was.

Dieses Gedicht hängt in meinem Zimmer im Schwarzburger Hof im Leutenberg.

Saale Unstrut Region

Gleich hinter Eisleben finde ich wieder gut befahrbare Feldwege und muss nur kurze Strecken auf Land- oder Bundesstrassen fahren.
Vorbei an einem stattlichen Schornstein von “ROMONTA” – ein Entsorgungsunternehmen – fahre ich durch den nur noch teilweise aktiven Tagebau Amsdorf. Irgendwie scheinen die Anlagen / der Tagebau jetzt für Entsorgung nachgenutzt zu werden. Nach heftigem Anstieg aus der Tagebaugrube heraus fahre ich an einer sehr grossen Tierzuchtanlage vorbei. Ich kann nicht erkennen was hier gezüchtet wird, selbst die schnelle Internetsuche hilft nicht weiter. In dieser Gegend wird in grossen Mengen produziert und entsorgt was uns täglich so umgibt.
Nach ein paar weiteren Kilometern durch Getreidefelder erlebe ich einen vollständigen Szenenwechsel. In das Tal der Unstrut heruntergerollt finde ich eine Idylle aus Weinbergen, Strausswirtschaft, Fluss, Radfahrern und Paddlern.Die Welt ist wieder zweigeteilt. Ohne Skrupel geniesse ich das Fahren entlang der Unstrut und der Saale bis zum Tagesziel Jena. Es gibt gute Radwege, schöne Aussichten und Möglichkeiten sich zu versorgen.

Lutherenergieversorger

Die Fahrt von Quedlinburg bis Aschersleben ist angenehm und verläuft auf guten und sehr geraden Feldwegen durch sehr grosse Felder.

Nach der Mittagspause in Aschersleben bin ich dann aber gezwungen längere Strecken auf schlecht ausgebauten dicht befahrenen Landes- und Bundesstrassen zu fahren. Schwere LKW überholen mich trotz Gegenverkehr und mit deutlich weniger als 1,5m Abstand (von den neuerdings vorgeschriebenen 2m ganz zu schweigen). “Corona ist vorbei – es darf wieder eng überholt werden”. Trotz Helm, Warnweste, Licht und dauerndem Blick in den Rückspiegel kann ich mich nicht an dieses Fahren gewöhnen.

Gut ist, daß ich durch die Konzentration auf die Strasse die Abraumhalden und die landwirtschaftliche Monokultur des Mansfelder Landes weniger wahrnehme. So eingestimmt fahre ich in die berühmte “Lutherstadt Eisleben”. Der hier gepflegte Kult um den Namen “Luther” ist an Lächerlichkeit kaum zu überbieten. Wieviel individuelle und gesellschaftliche Kontrollinstanzen mußten ausfallen und wieviel Welten musste es geben damit in dieser Welt der Begriff “Ihr Lutherenergieversorger” plakatiert werden konnte?
Ich stelle mir dynamische energiegeladene Lutheraner vor, wie sie im Talar die Erdkabel verlegen.

Vermeidungsstrategie

Mit neuem Wissen über die “Region” (Am Vorabend hatten wir noch eine lange Diskussion über “regionale Identifikation” am Beispiel von Salzgitter/Wolfsburg im Vergleich zu Ostfriesland/Franken) fahre ich erwartungsvoll nach Osterwiek.
Im Winter war mir bei einer Wanderung von Hornburg nach Osterwiek entlang der Ilse aufgefallen, daß beide Orte 400 Jahre alte und praktisch touristenfreie bewohnte Freilichtmuseen sind.
Hinter Osterwieck verlasse ich die Region WOBDienstwagenland. Im Gegensatz zu Osterwieck ist mein Tagesziel Quedlinburg touristisch voll erschlossen. Auf dem Weg dorthin fahre ich einen Umweg um nicht versehentlich durch Halberstadt fahren zu müssen. Ähnlich wie am Vortag, als ich nur mit einer ungeschickten kurzfristigen Planänderung vermeiden konnte durch Braunschweig zu fahren, freue ich mich das Wahrzeichen von Halberstadt (den Dom) aus der Entfernung zu sehe.
Zufällig fahre ich auf einem der tausend Jakobswege, sinniere über den Grund für die Wegekennzeichnungsinflation und geniesse die Fahrt durch das hügelige Harzvorland.

Radfahren in Corona Zeiten

Für dieses Jahr hatte ich mir vorgenommen die Donau vom Schwarzwald bis zum Schwarzen Meer kennenzulernen. Der Plan war gewesen, zuerst die Strecke Gifhorn -> Obere Donau mit dem Rad zu fahren und mich dann Ende Juni in Ingolstadt mit dem Ruderboot Novecento der TID (Tour International Danubia) anzuschliessen.
Die TID wurde wegen des Risikos von Corona Infektionen abgesagt. An Radtouren war bis jetzt wegen unsicherer Übernachtungsmöglichkeiten nicht zu denken.

Mit leichtem Gepäck, Zelt, warmem Schlafsack und kleiner Küche ohne Kocher mache ich mich heute auf den Weg in Richtung Regensburg (Donau). Weil ich östlich am Harz vorbei nach Thüringen fahren möchte, ist mein erstes Ziel der kleine verwunschene Fachwerkort Hornburg im Harzvorland.
Die Betreiber von “Reinhards Pension” – Monica und Thomas Dahms – haben ausser einer guten Übernachtungsmöglichkeit sehr viel zu Kultur und Geschichte der Region anzubieten. Bevor ich müde von nur 70km Radfahren mein Zimmer beziehe, bekomme ich von Thomas Dahms (Historiker, Verleger und Textautor diverser Geschichts Comics) im Innenhof einen einstündigen Crashkurs zur Geschichte der Welfen und Ottonen, der geschichtlichen Bedeutung Gifhorns (neben Celle und Halberstadt), der frühzeitlichen Geschichte des unteren Donauraums und überhaupt der gesamten europäischen Geschichte der letzten 5000 Jahre.
Damit habe ich nicht gerechnet: Bei Einhaltung der geltenden Hygieneregeln erlebe ich statt befürchteter Corona-Distanz Freundlichkeit und ein interessantes Gespräch.
Ich freue mich wieder unterwegs zu sein!