Himmelfahrtstag am Rhein

Es ist Himmelfahrt / Vatertag und ich fahre an der Ahr zwischen Weinbergen zum Rhein hinunter. Der Radweg folgt in vielen Abschnitten der Trasse der Eisenbahn unmittelbar neben den Gleisen. In Bad Kripp besuche in den Friedhof und fahre weiter auf dem Radweg am Rhein in Richtung Bonn und Köln.
Der Radweg ist heute nicht nur eine Hauptstrecke für viele Radwanderer sondern auch für Vatertagsausflügler. An einzelnen Stellen ist der Weg entsprechend überlaufen.

Es ist lange her, daß ich hier mit dem Rad gefahren bin. Trotzdem wirkt alles vertraut. Der interessantere Teil meiner Radreise von Sevilla nach Gifhorn ist beendet. Einige Kilometer vor Köln bin ich mit meiner Tochter verabredet. Die letzten Kilometer bis Köln fahren wir gemeinsam, essen Pommes und Bratwurst an der “Tatort-Pommesbude” und fahren weiter durch die Kranhäuser und am Dom/Hauptbahnhof entlang. In nur vier Stunden Zugfahrt könnte ich zurück in Gifhorn sein.

Vor dem letzten Abschnitt Köln – Gifhorn per Rad gibt es morgen einen Ruhetag mit Stadtbesichtigung, Streckenplanung und den üblichen Notwendigkeiten.

Wieder in Deutschland

Bei schönem Wetter beginnt der zweite Tag der Tour über die Ardennen und die Eifel.
Ich bin beim Fahren der vielen Anstiege jetzt viel entspannter. Mir ist aufgefallen, daß ich beim Fahren langer Anstiege das Gefühl für die tatsächliche Steigung verliere und nur merke, daß ich langsamer werde. Unbewußt habe ich versucht mit höherer Kraft/Leistung zu kompensieren und mich damit überfordert. Inzwischen versuche ich, die tatsächliche Steigung durch andere Beobachtungen zu ermitteln. Was sagt das Navi bzw. der Höhenmesser? Strömt das Wasser im Bach neben der Strasse in Fahrtrichtung oder kommt es mir noch entgegen? (Ich hatte in Norwegen irgendwann tatsächlich vor dem Ende eines längeren Anstiegs den Eindruck, daß das Wasser den Berg hinauf fliesst…) Ich vermeide Motivationstricks (“noch eben schnell über diese Kuppe”) und habe mir angewöhnt, stärker auf meine eigene Anstrengung zu achten und mir ein “Langsam Fahren” vorzusagen.

Langsam und ohne mich zu überforden fahre ich Anstieg für Anstieg durch Luxemburg und Ostbelgien, über die Maas-Rhein Wasserscheide und schließlich über die Grenze nach Deutschland.
In Ostbelgien wurden viele kleine Eisenbahnstrecken zu sehr guten Radwegen umgebaut (RAVel). In England hatte ich ähnliche Wege in oft schlechtem Zustand vorgefunden, an der französischen Atlantikküste waren sie in gutem Zustand, aber leider manchmal monoton zu fahren. Die RAVel-Wege in den Ardennen und in der Eifel sind in gutem Zustand und abwechslungsreich. Leider gilt auch hier, daß diese schönen Wege nicht gut untereinander verbunden sind und gelegentlich riskante Fahrten neben schweren LKWs notwendig bleiben.

Seit zwei Tagen ärgere ich mich über mich. In Mouzon hält ein deutscher VW-Bulli am Strassenrand, die Fahrerin kommt auf mich zu und fragt nach dem “richtigen Einstieg” in den Radweg entlang der Maas. Man habe ihr berichtet, daß der Weg noch nicht vollständig fertiggestellt und befahrbar sei. In dem Bulli sind zwei weitere Frauen und drei Fahrräder. Meine bescheuerte Reaktion: Die Maas sei hier. Hier sei – ohne daß ich Details wisse – in jedem Fall der richtige Ort um den Bulli abzustellen und die Räder zu nehmen. Alles weitere kläre sich ohnehin beim Radfahren. Ich frage mich, ob ich in diesem Leben nochmal erwachsen werde?

Bon courage

Das Leben auf dem Schloß macht mich schon innerhalb weniger Stunden träge und bequem. Die Abfahrt wird mir mit einem inoffiziellen Lunchpaket (unter dem Siegel der Verschwiegenheit) und einem aufrichtigen “Bon courage” etwas erleichtert. Dieser Aufenthalt setzt neue Maßtäbe. Die vielen Überreste erschossener Tiere an den Wände müssen aber nicht unbedingt sein.
Während der Fahrt sinne ich über eine Rudertour auf dem Maas Kanal (Canal de la Meuse) einschließlich Schloßübernachtung. Am Abend vorher hatte ich in dem kleinen Hafen von Mouzon drei Niederländische Schiffe gesehen.

Nach 400 Höhenmetern bin ich in Belgien und bekomme nach langer Zeit meine ersten Fritten. 1000 Höhenmeter später verlasse ich Belgien wieder um in Luxemburg zu übernachten.
Die Ardennen sind schön, noch schöner sind sie ohne Regen, bei etwas höheren Temperaturen und ohne Gegenwind.

Ardennen

Sedan, Verdun, Marne, Ardennen. Mir bekannte Namen mit oberflächlich bekanntem Sinnzusammenhang aber bisher von mir nicht erfahren. Mir fällt meine Großmutter ein, die mir vom Sedanstag erzählte, den sie als Kind im weit entfernten Ostpreussen mit Freude begangen haben muß.

Deutsch-Französischer Krieg – Reichsgründung – 1. & 2. Weltkrieg – heute fahre ich durch eine Gegend, in der sich viel zerstörerische Geschichte der letzten 150 Jahre abgespielt hat und es finden sich überall Hinweise darauf. (Eigentlich fehlt hier noch Versailles in der Auflistung, aber daran bin ich bewußt mit großem Abstand vorbeigefahren)

Gestern hatte ich in einem kleinen Ort an der Marne ein B&B auf einem Bauernhof gefunden. Die schon etwas ältere Wirtin sprach weder Deutsch noch Englisch und die Verständigung mit meinen paar Brocken Französisch war mühsam aber lustig. Ich bilde mir ein, einen sehr kleinen Blick in das Leben dieser Familie geworfen zu haben.

Heute sehe ich relativ früh in Mouzon ein Hinweisschild auf ein Gästehaus. Das Gästehaus entpuppt sich als ehemaliges Schlösschen des belgischen Textilfabrikanten und Flugpioniers Roger Sommer (1877-1965) (das “Sommer” aus “Sommer-Allibert” -> “Faurecia”). Nach etwas Verhandeln passen Budget und Preis zueinander und ich erlebe einen kleinen Einblick in das Leben der Reichen am Anfang des letzten Jahrhunderts.

Das Radfahren auf den letzten 300km durch die riesigen Getreidefelder war überwiegend langweilig. Hier in den Ardennen gibt es mehr Anstiege, mehr Wälder und mehr Abwechslung.

Günstige Bedingungen

Heute ist Sonntag, Europawahl und in vielen Orten Flohmarkt. Die LKWs fahren nicht, mässiger Wind aus WSW ist angekündigt und die Strecke ist meistens schnurgerade und totlangweilig. Seit einem Monat bin ich unterwegs, bin 3000km gefahren und fühle mich zunehmend besser auf dem Rad.

Die Bedingungen sind günstig, ich versetze mich in frühere Zeiten zurück und versuche eine längere Strecke zu fahren. Früher waren allerdings meine Geschwindigkeit höher und die Pausen weniger und kürzer.

Auf einem der Flohmärkte mache ich eine dieser längeren Pause mit Crepes und Wasser. Meine Nachbarn am Tisch trinken dagegen Champagner. Logisch: was sollen sie sonst trinken, ich bin schließlich in der Champagne.

Am Abend bin ich zufrieden. Die letzte Stunde am Tag auf dem Rad ist immer besonders. Manchmal überwiegt Sorge (wo komme ich unter etc.), manchmal Euphorie (es ist alles schön, das Rad läuft gut…), aber es ist immer ein intensives Empfinden. In dieser Phase sind meine “Gezeiten des Geistes” kurz vor Niedrigwasser.