London: ticked

Kein vernünftiger Mensch fährt mit dem Rad nach London um London anzusehen. Um den Buckingham Palast zu sehen reist man besser mit Auto, Bus oder Flugzeug an.

Ich fahre lange Strecken durch wenig schöne Vorstädte Londons. Der Radwanderweg R1 führt mich durch sehr (sehr) hässliche Ecken und ich wechsel meine Taktik auf “Kürzeste Strecke zur Innenstadt”. Das Fahren auf den Hauptverkehrsstrassen ist kein Spass und ich verstehe allmählich, warum sich hier die paar Radfahrer grüssen: es gibt ausserhalb der Innenstadt nicht besonders viele von ihnen.

Nach den Mühen der Vorstädte bietet sich in der Innenstadt ein völlig anderes Bild: Coole junge Menschen mit Kopfhörern auf coolen Fixies rauschen zwischen Bank Hochhäusern an mir vorbei. Hier wird nicht gegrüsst sondern gedrängelt.

Als mich der R1 dann in Richtung Norden am Lee-Canal / Lee-River entlangführt, schliesse ich wieder Frieden mit der Strecke, mit London und mit dem ganzen Tag.

Auf dem Kanal liegen sehr individuelle Hausboote, Narrow-Boats und sogar zum Wohnen umgebaute Rettungsboote. Es gibt eine schwimmende Fahrradwerkstatt. Die Anzahl der Einwohner dieser langgezogenen schwimmenden Stadt dürfte der Anzahl der Einwohner eines eigenen Stadtteils entsprechen.

Ich habe weder die Kronjuwelen noch Westminster gesehen, dafür habe ich aus ganz anderer Perspektive einen oberflächlichen Blick auf die Alltagswelt der Menschen Londons geworfen und einen eigenen schwimmenden Stadtteil entdeckt.

Linksverkehr etc.

Heute möchte ich es ruhig angehen lassen, mich an das Radfahren im Linksverkehr gewöhnen und mich auf England einstellen.

Die Steigung bei Dover mit dem schweren Rad hinaufzufahren ist ein Vorgeschmack auf die weiteren 700 Höhenmeter an diesem Tag. Die engen mit Bäumen und Büschen eingefassten Strassen sind eigentlich schön zu fahren – aber leider folgen sie auch jedem kleinen Hügel und es wird ein kräftezehrendes Auf und Ab.

Trotz guter Vorsätze und vieler Pausen wird das Fahren irgendwann anstrengend und ich bin froh Canterbury zu erreichen. “Strecke machen” wie in Flandern ist hier nicht möglich.

Ich bin überrascht, dass sich die Radfahrer untereinander grüssen. Ich werde mehrfach wohlwollend zum “woher und wohin” und sogar zu meinem Rad angesprochen.

Gegensätze

Morgens fahre ich mit der Fähre über die Westerschelde (Vlissingen – Breskens), abends über den Ärmelkanal (Calais-Dover). Dazwischen liegt eine an Gegensätzen reiche Strecke.

Der Niederländische Abschnitt führt mich auf einem wunderschönen Panoramaweg durch Dünenlandschaften entlang der Küste. Ich bin völlig begeistert und geniesse.

Der Belgische Abschnitt durch Flandern führt mich haupsächlich an Kanälen entlang. Die für Belgien charakteristischen Wohnsilos an der Küste sind in der Entfernung zu sehen. Das leichte Fahren auf den immer noch vorhandenen Radwegen macht meistens Spass.

Der Französische Abschnitt über Dünkirchen ist grauenhaft. Es existiert praktisch keine Radwege Infrastruktur. Die Autofahrer sind rücksichtslos. Ich setze meinen neongelben Radfahrhelm auf und versuche diesen Abschnitt zu überleben und so schnell wie möglich hinter mich zu bringen.

Calais ist schliesslich der Tiefpunkt des Tages: in der Zufahrt zum Fähranleger fahre ich etliche Kilometer an hohen Zäunen mit Stacheldrahtkronen vorbei. Auf den Strassen sind Gruppen junger dunkelhäutiger Männer. Ich fühle mich unsicher und bemühe mich schnell auf die Fähre nach Dover zu gelangen.

Ich bin überrascht, dass ich an nur einem einzigen Tag so unterschiedliche Landschaften, mit so unterschiedlichen Strukturen und vermutlich auch so unterschiedlichen menschlichen Charakteren durchfahren konnte. Jetzt bin ich auf England gespannt!

Lang lebe der König

Mein Tag beginnt mit einer Enttäuschung. Von dem “Bed&Breakfast” entfällt das “Breakfast”. “Aus betrieblichen Gründen” würde die Deutsche Bahn wohl zur umfassenden Erklärung hinzufügen.

Morgens in Delft sind die Radautobahnen voll mit dynamischen und sehr schnell radfahrenden Menschen mit Laptop-Köfferchen. Ich fahre an der TU-Delft vorbei und muss dabei an ideologisch durchtränkte Studien aus dieser Einrichtung denken.

Maassluis erinnert mich an die Romane von Maarten’t Hart und insbesondere seine Schilderungen der protestantischen Auseinandersetzungen in den Niederlanden.

Einige kleine Orte sind mit Wimpeln und Transparenten geschmückt. Auf einem Transparent steht “Lang Leve de Koning”. Am 27. April wird der Niederländische König Willem-Alexander 51 Jahre alt, die Vorbereitungen laufen.

In Vlissingen übernachte ich im Hotel “De Belgische Loodsensocieteit”, das seinen Namen zu Recht trägt. Es liegen einige Lotsenboote in der Nähe im Hafen und ich sehe Männer mit Schwimmwesten und Funkgeräten von ihrer Arbeit kommen.

für die Jahreszeit zu warm

Am Morgen sind die Sonnenstrahlen schon so kräftig, dass ich das Zelt gegen 9Uhr trocken zusammenlegen kann. In Anbetracht des Standorts direkt an der Ijssel und der Jahreszeit ist das bemerkenswert.

Das Radfahren bei leichtem Ostwind und den guten Radwegen ist sehr angenehm, bessere Bedingungen kann ich mir kaum vorstellen. In der Mittagszeit fahre ich vorbei an prächtigen Häusern mit grossen blühenden Bäumen in den Vorgärten durch das Universitätsstädtchen Wageningen. Es ist eine fast irreale Idylle.

Ich sehe etliche “Bakfietsen” – ein Fahrradtyp, für den ich mich interessiere, seit mein Enkel im Bakfietsenalter ist. Meistens wird hier junges Gemüse darin transportiert und seltener Blumen.

Hinter Utrecht (und vor Den Haag) verändert sich wieder das Landschafts- und Siedlungsbild, das durch die Entwässerungskanäle und die grossen Gärtnereien geprägt wird. Ich muss an die Geschichte der Ente “Alfred Jodokus Kwak” aus “Grosswasserland” denken.