Die Fahrt beginnt mit einem langen mühsamen Anstieg, die Strasse ist noch nass vom Regen am Morgen, der Himmel bedeckt und zu allem Überfluss muss ich noch an der hinteren Bremse basteln. Obwohl ich jede Menge Gründe für schlechte Laune habe, geht es mir gut.
Gegen Mittag ist der Anstieg geschafft, der Himmel ist blau und vor mir zeigt sich auf 300m – 400m Höhe eine atemberaubende offene Landschaft. Es muß das Wissen um diese kommenden unbekannten “Belohnungen” sein, die mir die manchmal unangenehmen Phasen leichter werden lassen.
Mein Radreiseführer geht auf diese Landschaft nicht näher ein. In den Parkbuchten stehen keine Wohnmobile mit Menschen die die Landschaft fotografieren. Für die Meisten scheint diese Strecke nur ein anderes lästiges eintöniges Stück Straße auf dem Weg zum “wirklich sehenswerten” Nordkapp zu sein. Für mich ist es eine der schönsten Etappen der ganzen Tour. Es ist “Raumgreifendes Radfahren” – wie Segelfliegen – nur tiefer.
Ich erwarte jetzt die Langstrecken-Nordkapp-Radfahrer zu treffen. Zwar treffe ich jetzt häufiger Radfahrer und spreche mit einigen von ihnen (zwei Schweizer mit Rennrädern und Rucksäcken, zwei Belgier mit Tandem und Anhänger, zwei Schweden), diese sind aber in Tromsø gestartet oder fahren andere kürzere Strecken. Statt dessen sehe ich aber andere Nordkapp-Exoten: ein Treckerfahrer mit Wohnwagen aus Dänemark und ein Mofafahrer mit Kinderanhänger aus Udevalla – bin gespannt was ich morgen noch zu sehen kriegen werde.
Na dann viel Spaß auf der letzten Etappe! Gewiss hast du unterwegs auch schon radelnde Rentner getroffen und nicht nur solche in Wohnmobilen und Bussen. Am Ende ist ja “Rentner” nur eine Definitionsfrage 😉
Ich mag übrigens die holländischen Rentner in großen Busladungen sehr gerne, seit ich einige von ihnen durch Leipzig geführt habe: sind immer sehr interessiert, zahlen gut und Trinkgeld gibt’s manchmal ziemlich reichlich. Also Vorsicht bei pauschalisierenden Bemerkungen: es könnten ja mal eigene Kunden werden!
Da die E6 sehr lang ist, verliert man dort das Gefühl für den Raum und bei sommerhellen Nächten auch für die Zeit. Für den unbedarften Blogleser wäre vielleicht doch die eine oder andere Ortsangabe nützlich im zu erfahren, wo sich der wackere Nordkappradler aufhält. So stelle ich mir jedenfalls vor, dass du derzeit dein Zelt auf einsamen Fjälls aufstellst, außerhalb der Sicht- und Hörweite des Wohnmobilstroms.
Ich bin mal vor vielen Jahren einige Abschnitte zwischen Sevettijärvi, Kirkenes und Honnigsvåg geradelt und erinnere mich an atemberaubende sonnengetränkte Fjällspitzen über in undurchdringlichen Nebel getauchte Fjorde.
Als ich am nördlichen Stadtrand von Helsinki/Vantaa lebte, kamen dort auf der Landstraße von Lahti sehr häufig rückreisende – v.a. deutsche und holländische- Norkappradler vorbei. Schon allein die Routenwahl ließ erkennen, dass sie nach den vielen Wochen “die Faxen dicke” hatten und endlich wieder in die Zivilisation wollten. Diejenigen, die vom Lappland-Fieber gepackt wurden, sind entweder gleich dageblieben oder sofort nach Hause geflogen, um ihre Auswanderung in den gelobten Norden vorzubereiten.
Ach ja, und am Nordkapp darfst du dich dann ins Logbuch derer eintragen, die das Nordkapp per Rad erreicht haben. Da gibt es viele Einträge von Leuten, die lediglich die letzte Tagesetappe geradelt sind, aber auch manche mit einer wirklich langen Anfahrt. Wieviel dabei geflunkert wird, wissen natürlich nur die Beteiligten selber…
Schöne Grüße übrigens vom heimischen Nordkapp, und zwar von der grasbewachsenen Felseninsel Helgoland! Gehört im Hinblick auf Geologie, Landschaft, Wirtschaft etc. zum gleichen Kultur-/Naturraum wie die Gegend, in der du dich gerade aufhältst. Das viel mir gestern wie Schuppen von den Augen und ich wundere mich, wie 49 Jahre vergehen konnten, bis ich zum ersten Mal einen Fuß auf diese fantastische Insel setzen durfte.
Alles Gute für den letzten Abschnitt, sicheres Fahren v. a. im letzten Tunnel und weiterhin viel Spaß!