Lang lebe der König

Mein Tag beginnt mit einer Enttäuschung. Von dem “Bed&Breakfast” entfällt das “Breakfast”. “Aus betrieblichen Gründen” würde die Deutsche Bahn wohl zur umfassenden Erklärung hinzufügen.

Morgens in Delft sind die Radautobahnen voll mit dynamischen und sehr schnell radfahrenden Menschen mit Laptop-Köfferchen. Ich fahre an der TU-Delft vorbei und muss dabei an ideologisch durchtränkte Studien aus dieser Einrichtung denken.

Maassluis erinnert mich an die Romane von Maarten’t Hart und insbesondere seine Schilderungen der protestantischen Auseinandersetzungen in den Niederlanden.

Einige kleine Orte sind mit Wimpeln und Transparenten geschmückt. Auf einem Transparent steht “Lang Leve de Koning”. Am 27. April wird der Niederländische König Willem-Alexander 51 Jahre alt, die Vorbereitungen laufen.

In Vlissingen übernachte ich im Hotel “De Belgische Loodsensocieteit”, das seinen Namen zu Recht trägt. Es liegen einige Lotsenboote in der Nähe im Hafen und ich sehe Männer mit Schwimmwesten und Funkgeräten von ihrer Arbeit kommen.

für die Jahreszeit zu warm

Am Morgen sind die Sonnenstrahlen schon so kräftig, dass ich das Zelt gegen 9Uhr trocken zusammenlegen kann. In Anbetracht des Standorts direkt an der Ijssel und der Jahreszeit ist das bemerkenswert.

Das Radfahren bei leichtem Ostwind und den guten Radwegen ist sehr angenehm, bessere Bedingungen kann ich mir kaum vorstellen. In der Mittagszeit fahre ich vorbei an prächtigen Häusern mit grossen blühenden Bäumen in den Vorgärten durch das Universitätsstädtchen Wageningen. Es ist eine fast irreale Idylle.

Ich sehe etliche “Bakfietsen” – ein Fahrradtyp, für den ich mich interessiere, seit mein Enkel im Bakfietsenalter ist. Meistens wird hier junges Gemüse darin transportiert und seltener Blumen.

Hinter Utrecht (und vor Den Haag) verändert sich wieder das Landschafts- und Siedlungsbild, das durch die Entwässerungskanäle und die grossen Gärtnereien geprägt wird. Ich muss an die Geschichte der Ente “Alfred Jodokus Kwak” aus “Grosswasserland” denken.

Niederlande

Gestern habe ich in Münster einen ersten Ruhetag eingelegt. Heute geht es dafür nach einem gemeinsamen Frühstück mit Thekla relativ zeitig aufs Rad in Richtung Niederlande.

Ursprünglich wollte ich ab Münster den Radfernweg R1 befahren. Das Fahren nach der Empfehlung des Navis auf den Landstrassen ist aber hier im Münsterland und später auch in den Niederlanden für mich in Ordnung und deutlich kürzer als die verschlungenen Seitenstrecken des R1. Die Landstrassen haben fast durchgängig gute Radwege und sind nicht zu stark befahren.

Die Fahrt durchs Münsterland bedient alle meine Klischees (Pferde, liebliche Landschaft, herrschaftliche Gutshöfe, Klöster, Priester, Nonnen, Glockengeläut…) – und ich freue mich darüber.

Hinter der Grenze zu den Niederlañden geht es unverändert weiter (mit der Bedienung meiner Klischees): tolle Radwege und Strassen, riesengrosse Höfe, Gazelle Fahrräder, keine Gardinen in den Fenstern, gepflegt Gärten, Pindakaas etc. – auch darüber freue ich mich.

Jetzt bin ich gespannt auf den Moment, an dem

a) mein Vorrat an Klischees aufgebraucht ist

b) neue Klischees gebildet werden

c) bestehende Klischees revidiert werden müssen

Nach etwas Überwindung verbringe ich die erste Nacht im Zelt. Das Wetter ist gut, es ist wenig Betrieb, der Campingplatz ist recht gepflegt und er liegt direkt an der Ijssel. Jetzt, wo alles aufgebaut und an seinem Platz ist, fühlt sich Zelten auch wieder gut an.

Münster

Die Strecke bis Münster ist kurz und überwiegend schön. Bei schönem Frühlingswetter fahre ich auf idyllischen Radwegen, teilweise aber auch direkt an der stark befahrenen Bundesstrasse über Warendorf und Telgte nach Münster.

Die Fahrt lässt die “Edemissen-Peine-Sehnde-Pattensen-Ödnis” vom ersten Tag vergessen und weckt Vorfreude auf die Niederlande.

Die Strassencafes in Münster sind voll besetzt, es gibt – wie derzeit in allen grösseren deutschen Universitätsstädten – interessante alte Rennräder der 80er und 90er Jahre, orginelle Lastenräder und gewöhnliche Hollandräder zu sehen. Dabei entdecke ich das Imitat eines GIOS-Rennrades.

Zum Abschluss des Tages bekommen meine Frau, die “kleine” Tochter und ich ein Paneer Tikka Masala.

Regen und Berge

Irgendwann lässt sich heute die Abfahrt in Springe nicht weiter verschieben und so fahre ich etwa 1-2 Stunden im Regen. Der Regen, die Berge des Weserberglands und die unangenehme Fahrt auf/neben der Bundesstrasse mit den unklaren und gewohnt schlechten Radwegen verderben mir die Laune.

Gegen Mittag komme ich in den Landkreis Lippe, der Regen hat aufgehört und die Strecke wird technisch und landschaftlich schöner. Offenbar war ich vorher nie in Detmold (warum auch?). Aber ich stelle fest, dass diese Stadt unter dem Hermannsdenkmal vergleichsweise hübsch und beschaulich ist. Das Radfahren macht auf diesem Abschnitt zum ersten Mal Spass.

Vorbei an Stukenbrock und dem Segelflugplatz Oerlinghausen (“sweet memories”) fahre ich weiter bis Gütersloh. Mein erster Gedanke beim Hineinfahren: Gütersloh scheint gemeinsam mit Wolfsburg Vorreiter bei dem Versuch zu sein, die gesammte Stadt vollständig in einem einzigen grossen Einkaufszentrum aufgehen zu lassen. Das Einkaufszentrum hält sich seine “Kunden” – statt dass sich Kunden ein Einkaufszentrum halten. Ein spannendes anthropologisches Experiment. Ich bilde mir ein, bei den Probanden bereits erste evolutionäre Anpassungen an die veränderten Umweltbedingungen festzustellen.

Langsam gewöhne ich mich an den Umgang mit meinem neuen Navi und kann die unterschiedlichen Routenempfehlungen besser einschätzen.