Noch ein Boot – Baubericht

Vor einem Jahr hatte ich mir eingebildet aus Novecento, Southern Cross, einem VolansCoastal, weiteren Booten und aus Büchern etwas über Boote gelernt zu haben. Mit dem Bau eines weiteren Bootes will ich prüfen ob das geglaubt Verstandene in der Realität Bestand hat.

Meine Theorie: Die optimale Auslegung eines Ruderboots sollte wesentlich nur von verfügbarer Vortriebsleistung, der zu bewegenden Gesamtmasse und Anforderungen an Roll- und Gierstabilität abhängen.

Theorie

Die Masse (Boot, Besatzung, Gepäck ca. 150kg) bestimmt die notwendige Verdrängung und die verfügbare Vortriebsleistung (ca. 100W) bestimmt in Verbindung mit der notwendigen Verdrängung das Längen-Breiten-Verhältnis des Bootes. Ist das Boot zu lang, dann ist die benetzte Oberfläche und damit der Reibungswiderstand unnötig groß. Ist das Boot zu kurz, dann wird der Wellenwiderstand bei der Auslegungsgeschwindigkeit unnötig groß. Mit optimierten Kajak Rumpfformen gibt es Lösungen für 100W und 150kg bei einer Geschwindigkeit von ca. 9km/h und einer Länge von ca. 5.50m. [Widerstände] [Einflussfaktoren] [Durchschnittstempo]

Je kleiner die dauerhaft verfügbare Gesamtantriebsleistung wird (meine Leistungsfähigkeit wird von Jahr zu Jahr geringer), umso bedeutsamer wird die Verlustleistung die durch Beschleunigungen während der Ruderbewegung verursacht wird. Das Pendeln von Ruderer (75kg) gegen Boot+Gepäck (75kg) bei 20 Schlägen/min, das entstehende Nicken des Bootes und die damit verbundene (leider auch noch sehr effiziente) Erzeugung von Wellen in einem Rollsitzboot benötigt eine Leistung in einer Größenordnung von 10+x Watt ohne Vortrieb zu erzeugen. Ist lediglich der 6kg schwere Rollausleger zu bewegen, dann wird diese Verlustleistung deutlich reduziert. Hinzu kommt, daß die Vortriebskraft für den Rumpf kleinere Schwankungen zeigt, die Bootsgeschwindigkeit gleichmäßiger ist und damit im zeitlichen Mittel ein insgesamt geringerer hydrodynamischer Widerstand erreicht wird. Eine erste Analyse des Einflusses der Ungleichförmigkeit der Bootsbewegung auf Wellenwiderstand und Grenzschicht (Umschlag laminar/turbulent) liegt hier vor.

Das VolansCoastal schien mir ein sinnvolles Bootskonzept darzustellen. Im Selbstversuch mußte ich aber feststellen, daß das offene Heck Nachteile hat und insbesondere in Verbindung mit dem Rollauslegerantrieb die Funktion des Selbstlenzens nicht verlässlich erfüllen kann. Bei meinem Gewicht und bei Geschwindigkeiten in der Nähe der Rumpfgeschwindigkeit (8-9 km/h) taucht das Heck ein und Widerstand und Heckwelle nehmen nochmal deutlich zu. Ein definierter Strömungsabriss am Spiegelheck findet nicht statt, das schlanke 5 Meter lange Boot bleibt – vielleicht entgegen der Hoffnungen – immer im reinen Verdränger Modus. Wasser aus dem Fussraum kann unter diesen Bedingungen nicht abfliessen. Auch bei niedrigeren Geschwindigkeiten reichen die (gewollt geringen) Längsbeschleunigungen während der Ruderbewegung nicht aus um zuverlässig Wasser aus dem Fussraum über das Heck heraus zu beschleunigen.
Ein weiterer Nachteil des Spiegelhecks im Ruderboot ist die Verringerung der Gierstabilität, die ein Steuer und/oder eine für das Handling sehr unpraktische Finne erforderlich machen. Ein sehr schmales tiefes Heck wie bei allen Renn- und Wanderruderbooten scheint immer noch die günstigste Form zu sein. Das Selbstlenzen plane ich über Speigatten und über einen Venturi-Lenzer im Fussraum zu erreichen.

Bau

Im Oktober 2021 erstehe ich einen gut erhaltenen 20-30Jahre alten Seekajak Zweier von Lettmann. Anders als die aktuellen Boote des Typs “Ozean” hat dieses Boot noch keine Abschottungen und keine Luken auf dem Deck und gibt damit die Freiheiten für die mir vorschwebenden Umbauten.

Der Rollausleger aus dem VolansCoastal bestimmt in Verbindung mit der Oberkante des Süllrandes die vertikale Maßkette, die vermutete Lage des Schwerpunktes und die vorhandenen zwei Sitzluken definieren die Maßkette in Längsrichtung. Der Kajakrumpf wird für die Bauzeit in einem Dachlatten Gerüst in “Netzkoordinaten” mit Heißsiegelkleber fixiert und von Sitz- und Steueraufnahmen befreit. Der Süllrand wird aus gebogenen und mit Aerodux verleimten Eichenlamellen aufgebaut. Nachdem der Süllrand fertiggestellt und auf dem Deck fixiert ist wird das Deck innerhalb des neuen Süllrands aufgeschnitten (ohne daß das Boot dabei aufgrund innerer Spannungen die Form verliert – meine größte Sorge). Stringer und Decksversteifungen stelle ich aus Eichenholz her, Spanten und Deck aus 6mm Okume Bootsbausperrholz, das ich beidseitig mit 80g/m² Glasgewebe beschichte. Für die Schotten stelle ich Glas-Schaum-Glas Sandwichplatten her, für die Luken verwende ich Standardkomponenten. Erste Ruderversuche im Rohbaustadium ergeben, daß das Boot ohne zusätzliche Maßnahmen nicht richtungsstabil läuft, daher wird widerwillig eine kleine Finne provisorisch unter das Heck geklebt.

Erprobung

Die Arbeiten dauern natürlich länger als ursprünglich geplant und es wird Oktober – ein Jahr nachdem ich das Kajak gekauft hatte – bis das Boot in einem erprobungswürdigen Zustand ist. Die erste längere Fahrt findet auf dem Ems-Jade Kanal bei Aurich zwischen den Schleusen Kukelorum und Wiesens statt. Bekannte Probleme wie das Klemmen des Rollauslegers beim Überziehen und schlechter Geradeauslauf sind verbessert aber leider nicht behoben. Eine weitere leider nicht ausreichende Verbesserung des Geradeauslaufs erreiche ich durch 18kg Wasserballast vor dem Schwerpunkt in den Staukästen. Weitere Veränderungen am Boot sind notwendig.

Das Boot wirft kaum Wellen auf, man sieht einen abgegrenzten geraden etwa 1m breiten turbulenten Nachlauf hinter dem Boot. Das Navi zeigt für die 2okm lange Strecke eine mittlere Geschwindigkeit in Bewegung von 7,8km/h. Damit bin ich erstmal zufrieden.

Ein Freund rudert das Boot einige Meter und empfindet es nachvollziehbar als “sehr gewöhnungsbedürftig”. Die Arbeit an dem Konzept ist offensichtlich nicht abgeschlossen. Bevor das Boot in den Wellen getestet werden kann werde ich die Probleme mit dem klemmenden Rollausleger und dem Geradeauslauf zuverlässig abstellen müssen. Vorausgesetzt daß das gelingt, werden sich beim Rudern in den Wellen neue mich überraschende Probleme zeigen. Das ist der Sinn der Übung. Alles Denken ist Problemlösen.